Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Hymnen sangen und unsere Dichtung und unsere Gesetze kannten. Sie waren Druiden wie wir, sie waren die Gläubigen des Waldes wie wir. Wir sanken einander in die Arme.« Avicus beobachtete Mael scharf. Ich sah Mael wohl mit geduldigeren, kühleren Augen als er, dessen war ich mir sicher. Dennoch fesselte die schlichte Erzählung zugegebenermaßen.
»Ich ging in den Hain«, berichtete Mael. »Wie riesig die Bäume waren! Wie alt! Jeder einzelne hätte der Gewaltige Baum sein können. Endlich führte man mich hin, und ich sah die Pforte mit ihren vielen eisernen Schlössern. Ich wusste, dahinter war der Gott.« Plötzlich schaute Mael ängstlich zu Avicus, doch der bedeutete ihm fortzufahren.
»Erzähl es Marius«, sagte er sanft, »so erzählst du es auch mir.« So sanft klang sie, diese Bemerkung. Mir lief ein Schauer über die Haut, über meine makellose Haut, die sich nach Berührungen sehnte.
»Aber die Priester«, fuhr Mael fort, »sie warnten mich. ›Mael, wenn du falschen Herzens oder mit einem Makel behaftet bist, wird der Gott es wissen. Dann wird er dich töten, und du bist für ihn eine Opfergabe, nichts anderes. Ergründe dein Herz, denn der Gott ergründet dich. Der Gott ist stark, aber er möchte lieber gefürchtet als angebetet werden, und er sucht wonnevolle Vergeltung, wenn er aufgestört wird.‹ Die Worte erschütterten mich. War ich ehrlich bereit, dieses seltsame Wunder über mich ergehen zu lassen?« Er warf mir einen wilden Blick zu.
»Ich dachte noch einmal über alles nach. Die Bilder, die du mir ausgemalt hattest, kamen mir wieder in den Sinn! Die herrliche Villa in der Bucht von Neapel. Wie du die reich ausgestatteten Räume beschrieben hattest. Wie du die warme Brise beschrieben hattest und das Geräusch der Wellen am felsigen Gestade. Du hattest von Gärten erzählt! Ach, könnte ich die Finsternis in der Eiche ertragen, fragte ich mich? Das Bluttrinken, das Hungern zwischen den Opferfesten, wozu wäre es gut?« Er hielt inne, als könne er nicht weitersprechen. Wieder lenkte er den Blick zu Avicus.
»Fahr fort«, bat ihn Avicus ruhig mit seiner tiefen Stimme.
»Dann trat einer der Priester an mich heran, nahm mich zur Seite und sagte: ›Mael, dies ist ein zorniger Gott. Dies ist ein Gott, der zur Unzeit nach Blut verlangt. Hast du die Kraft, vor ihm zu erscheinen?‹
Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten. Die Sonne war gerade untergegangen. Überall im Hain flammten Fackeln auf. Die Getreuen des Waldes hatten sich versammelt. Meine Druidenbrüder, die mich herbegleitet hatten, umringten mich. Sie drängten mich auf die Eiche zu. Dort angekommen, bestand ich darauf, dass sie mich losließen. Ich legte meine Hände auf die Rinde des Baumes, ich schloss die Augen und betete stumm zu diesem Gott, wie ich es in dem Hain meiner Heimat gemacht hatte. Ich sagte: ›Ich bin einer der Gläubigen des Waldes. Willst du mir das Heilige Blut geben, damit ich heimkehren und tun kann, was mein Volk von mir erwartet?‹«
Wieder brach Mael ab. Es war, als starre er auf etwas Schreckliches, das ich nicht sehen konnte.
Wieder sprach Avicus: »Fahr fort.« Mael seufzte.
»Ein stummes Lachen kam aus der Eiche, ein stummes Lachen und eine zornige Stimme! Sie drang direkt in meinen Kopf und ging mir durch und durch. Der Gott sagte zu mir: ›Bring mir zuerst ein Blutopfer. Dann – und erst dann – habe ich die Kraft, dich zu einem Gott zu machen.‹«
Wieder hielt Mael inne. »Du weißt ja sicher, Marius, wie sanft unser Gott war. Als er dich zu einem Bluttrinker machte, als er zu dir sprach, da war weder Zorn noch Hass in ihm; aber dieser Gott war voller Grimm.« Ich nickte.
»Ich erzählte den Priestern, was der Gott gesagt hatte. Die ganze Gruppe zog sich zurück, von Furcht und Widerwillen ergriffen. ›Nein‹, sagten sie, ›er verlangt viel zu oft nach Blut. Ihm jetzt Blut zu geben ist unpassend. Er soll jetzt darben, wie immer zwischen den Vollmondnächten und den jährlichen Ritualen, damit er abgezehrt und ausgehungert aus der Eiche hervorkommt, bereit, das Blut der Opfer aufzunehmen und sich daran bis zum Überfluss zu sättigen, so wie der kommende Frühling überfließt von Gaben.‹ Was konnte ich sagen?«, fragte Mael.
»Ich versuchte, einige zu überzeugen. ›Um einen neuen Gott zu machen, braucht er aber bestimmt Kraft‹, erklärte ich. ›Und er hat Verbrennungen von dem Schreckensfeuer, vielleicht hilft ihm das Blut bei der Heilung. Warum bringen wir ihm nicht ein Opfer?
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