Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
verängstigter Männer. Musketenfeuer blitzten und donnerten, und das lodernde Licht sackte in sich zusammen.
Eine zweite flammende Erscheinung stieg auf, und das Geschrei von Menschen war deutlich zu hören. Fenner schreibt, er habe sogar ein paar Worte aufgeschnappt, die voller Panik gebrüllt wurden: »Allmächtiger Gott, beschütze deine Lämmer!« Es krachten weitere Schüsse, und die zweite Lichtsäule sackte nach unten.
Danach blieb es für ungefähr fünfundvierzig Minuten still, bis der kleine Bruder von Luke, Arthur Fenner, rief, er sehe einen »roten Nebel«, der von der verfluchten Farm in der Ferne zu den Sternen hinaufzieht. Niemand außer dem Jungen hat das beobachtet, doch Luke schreibt, dass in diesem Moment die drei Katzen der Familie, die sich im Zimmer befanden, gleichzeitig von krampfhafter Furcht erfasst wurden. Sie machten einen Buckel und sträubten das Fell.
Fünf Minuten später kam ein kalter Wind auf, und in die Luft mischte sich ein derart unerträglicher Gestank, dass nur die starken, frischen Meeresböen verhindert haben können, dass er von den Männern am Fluss oder einer schlaflosen Seele in Pawtuxet gerochen wurde. Dieser Gestank glich nichts, was je zuvor einer der Fenners ertragen hatte – er löste eine würgende, amorphe Angst aus, die weit schlimmer war als die vor dem Tod oder dem Leichenhaus.
Bald danach ertönte die grauenhafte Stimme, die keiner der unglücklichen Hörer je vergessen konnte. Sie donnerte wie ein Urteilsspruch vom Himmel herab. Die Fensterscheiben klirrten, als das Echo verhallte. Sie war tief und gefühlvoll, so kräftig wie die Basstöne einer Kirchenorgel, doch so böse wie die verbotenen Bücher der Araber. Was sie sagte, weiß kein Mensch, denn sie sprach in unbekannter Sprache. Luke Fenner hielt die dämonischen Töne wie folgt fest: »DEESMEES – JESHET – BONEDOSEFEDUVEMA – ENTTEMOSS.« Erst 1919 sollte es gelingen, diese krude Mitschrift mit irgendetwas aus dem Wissen der Sterblichen in Verbindung zu bringen, doch Charles Ward erbleichte, als er es als das entzifferte, was Mirandola voller Schaudern als das ultimative Grauen unter den Beschwörungen der Schwarzen Magie gebrandmarkt hatte.
Ein zweifellos menschlicher Schrei, der ähnlich wie ein tiefer Chor klang, schien von Curwens Farm aus diesem unheilvollen Mysterium zu antworten, und in den unbekannten Gestank mischte sich jetzt ein komplexer neuer, ebenso unerträglicher Geruch. Nun brach ein Gekreische aus, das ganz anders als der Schrei klang. Es zog sich in höhere und tiefere winselnde Krämpfe hin. Zuweilen klang es beinahe verständlich, doch kein Zuhörer vermochte, bestimmte Worte herauszuhören; einmal klang es geradezu wie ein diabolisches, hysterisches Gelächter. Dem folgte ein gellendes Geschrei äußerster, nackter Furcht und schieren Wahnsinns aus Dutzenden menschlichen Kehlen; ein Geschrei, das klar und deutlich zu vernehmen war, wenngleich es aus großer Tiefe heraufdringen musste. Danach legten sich Finsternis und Stille über alles. Wirbel von beißendem Rauch stiegen auf und verdunkelten die Sterne, obgleich keine Flammen zu sehen waren und man am nächsten Tag auch keine Brandspuren in den Gebäuden fand.
Im Morgengrauen klopften zwei verängstigte Boten, deren Kleidung von ungeheuerlichen und unbeschreiblichen Gerüchen gesättigt war, an die Tür der Fenners und baten um ein Fässchen Rum, für das sie wirklich sehr großzügig bezahlten. Einer der beiden sagte der Familie, dass die Angelegenheit Joseph Curwen nun erledigt sei und dass die Geschehnisse dieser Nacht nie mehr erwähnt werden sollten. So herrisch diese Ermahnung erscheinen mochte, der Zustand des Mannes, der sie ausgesprochen hatte, ließ keinen Groll aufkommen und verlieh ihr eine grausige Überzeugungskraft. Aus diesem Grunde gibt es nur noch diese geheimen Briefe von Luke Fenner, die zu vernichten er seinen Verwandten in Connecticut beschworen hatte, die davon berichten, was gesehen und gehört wurde. Nur weil dieser Verwandte Lukes Bitte nicht nachkam und die Briefe aufhob, ist die ganze Sache vor der Gnade des Vergessens gerettet worden.
Charles Ward konnte nach mühevoller Recherche unter den Einwohnern von Pawtuxet nach Überlieferungen ihrer Vorfahren ein Detail hinzufügen. Der alte Charles Slocum aus diesem Dorf sagte, sein Großvater habe sich an ein sonderbares Gerücht erinnert: Man habe eine Woche, nachdem man den Tod Joseph Curwens öffentlich bekannt gegeben hatte, auf einem Acker
Weitere Kostenlose Bücher