Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Kapitän Tillinghast war ein scharfsinniger Mann und er deckte bald genügend Gerüchte auf, um voller Grauen zu verlangen, dass seine Tochter und Enkeltochter ihren Nachnamen ablegten. Er veranlasste auch, dass Joseph Curwens Bibliothek und alle übrigen Unterlagen verbrannt wurden und aus dem Granitstein über dessen Grab die Inschrift getilgt wurde. Er kannte Kapitän Whipple gut, und diesem schroffen Seemann entlockte er wahrscheinlich mehr Hinweise über den Untergang des verfluchten Hexenmeisters, als sonst irgendwer erfuhr.
Von diesem Zeitpunkt an wurde das Austilgen von Curwens Existenz immer fanatischer, bis es sich nach allgemeinem Übereinkommen sogar auf die städtischen Annalen und die Archive der Gazette ausdehnte. Man kann diesen Fanatismus höchstens mit dem Schweigen vergleichen, das ein Jahrzehnt nach seiner Entehrung auf Oscar Wildes Namen lag, und im Ausmaß nur mit dem Los des sündhaften Königs von Runagur aus der Erzählung des Lord Dunsany, dem die Götter beschieden hatten, dass er nicht nur aufhören musste zu leben, sondern dass er nie existiert haben durfte.
Mrs. Tillinghast, wie die Witwe nach 1772 hieß, verkaufte das Haus in Olney Court und wohnte bis zu ihrem Tode 1817 im Haus ihres Vaters in der Power’s Lane. Die Farm in Pawtuxet wurde von jeder lebenden Seele gemieden und moderte im Laufe der Jahre vor sich hin. Unerklärlicherweise schien sie mit besonderer Schnelligkeit zu verfallen: Um 1780 stand nur noch das Mauerwerk, und um 1800 war selbst das schon zu formlosen Geröllhaufen zusammengestürzt. Niemand wagte es, das Wirrwarr aus Gestrüpp am Flussufer zu durchdringen, hinter dem wohl die große Tür in der Böschung gelegen hatte, noch versuchte irgendwer, sich ein klares Bild von dem Schauplatz zu machen, aus dem Joseph Curwen inmitten der von ihm geschaffenen Schrecknisse gerissen worden war. Nur den robusten alten Kapitän Whipple konnten aufmerksame Zuhörer manchmal vor sich hinmurmeln hören: »Die Pocken über ihn - - - aber wieso musste er am Ende noch lachen, während er brüllte. Man hätte glauben können, der Verdammte hätt’ - - - noch ein As im Ärmel gehabt. Für eine halbe Krone würd’ ich sein - - - Haus abbrennen.«
Drittes Kapitel: Eine Suche und eine Beschwörung
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Wie wir nun wissen, erfuhr Charles Ward erstmals 1918, dass er von Joseph Curwen abstammt. Dass er sogleich ein ausgeprägtes Interesse an allem zeigte, was mit diesem alten Rätsel zu tun hatte, verwundert wohl nicht, denn jedes unklare Gerücht, das er jemals über Curwen gehört hatte, stand nun in einem grundlegenden Zusammenhang mit ihm selbst, da in seinen Adern Curwens Blut floss. Kein begeisterter und aufgeweckter Genealoge hätte in diesem Falle anders gehandelt, als sich an eine eifrige und systematische Sammlung von Informationen über Curwen zu machen.
Bei Wards ersten Recherchen zeigt sich nicht der leiseste Hauch, dass er etwas geheim hielt, deshalb schwankt selbst Dr. Lyman, den Wahnsinn des jungen Manns irgendwann vor Ende 1919 zu datieren. Ward sprach über die Sache ganz freimütig mit seiner Familie – obgleich seine Mutter nicht sonderlich erfreut war, Curwen in ihrem Stammbaum zu wissen – und mit den Angestellten der verschiedenen Museen und Bibliotheken, die er aufsuchte. Wandte er sich an Familien, in deren Besitz er bestimmte Dokumente wähnte, verhehlte er seine Absicht keineswegs und er teilte sogar die amüsierte Skepsis, mit der die Berichte der alten Tagebuch- und Briefschreiber bedacht wurden. Häufig sagte er, wie sehr es ihn interessiere, was anderthalb Jahrhunderte zuvor wohl wirklich auf der Farm in Pawtuxet, nach dessen Standort er vergeblich suchte, geschehen war und wer oder was Joseph Curwen wirklich gewesen sein mochte.
Als er auf das Tagebuch von Smith und die Urkundensammlung mit dem Brief von Jedediah Orne stieß, beschloss er, nach Salem zu reisen und dort Curwens frühe Tätigkeiten und Beziehungen zu erkunden, was er dann während der Osterferien 1919 auch tat. Im Essex-Institut, das ihm von seinen früheren Reisen in die glorreiche alte Stadt voller morscher puritanischer Giebel und dicht gedrängter Walmdächer wohlbekannt war, wurde er sehr freundlich empfangen und brachte dort eine beträchtliche Menge an Informationen über Curwen zutage.
Er fand heraus, dass sein Vorfahr am 18. Februar 1662 (oder 1663) im Dorf Salem, dem heutigen Danvers, elf Kilometer von der Innenstadt entfernt, geboren wurde. Mit 15 lief er von zu Hause fort,
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