Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
um zur See zu fahren. Erst neun Jahre später tauchte er wieder auf, mit der Ausdrucksweise, der Kleidung und den Manieren eines Engländers, und ließ sich in der Stadt Salem nieder. Damals hatte er wenig mit seiner Familie zu tun und verbrachte den Großteil seiner Zeit mit den sonderbaren Büchern, die er aus Europa mitgebracht hatte, und mit den seltsamen Chemikalien, die ihm mit Schiffen aus England, Frankreich und Holland geliefert wurden. Einige seiner Ausflüge aufs Land weckten die örtliche Neugierde und man redete darüber, dass er in den Nächten Feuer auf dem Hügel entzündet habe.
Curwens einzige enge Freunde waren ein gewisser Edward Hutchinson aus dem Dorf Salem und ein Simon Orne aus der Stadt Salem. Mit diesen Männern sah man ihn oft in der Öffentlichkeit in Gespräche vertieft, und sie besuchten einander auch häufig. Hutchinson besaß ein abgelegenes Haus draußen bei den Wäldern, das wegen bestimmter Geräusche, die dort in den Nächten erklangen, bei sensiblen Menschen einen schlechten Ruf besaß. Es hieß, er lade sich merkwürdige Gäste ein, und die Lichter hinter den Fenstern seien nicht immer von derselben Farbe. Das Wissen, das er über lange verstorbene Personen und lange vergessene Ereignisse besaß, galt als ausgemacht unheilvoll. Als die Hexenpanik aufflammte, verschwand er und man hörte nie wieder von ihm.
Zu dieser Zeit verzog auch Joseph Curwen, doch erfuhr man schon bald, dass er sich in Providence niedergelassen hatte. Simon Orne blieb bis 1720 in Salem, bis die Tatsache, dass er offensichtlich nicht alterte, Aufmerksamkeit zu erregen begann. Daraufhin verschwand er, doch dreißig Jahre später tauchte sein genaues Ebenbild auf, behauptete sein Sohn zu sein und forderte seine Erbschaft ein. Dieser Forderung wurde aufgrund von Dokumenten in der Handschrift Simon Ornes stattgegeben. Jedediah Orne wohnte bis 1771 in Salem, bis einige Briefe von Bürgern aus Providence an den Reverend Thomas Barnard und andere Einwohner seine stillschweigende Ausweisung zuwege brachten. Wohin, ist unbekannt.
Verlässliche Dokumente über all diese seltsamen Begebenheiten fanden sich im Essex-Institut, im Gerichtsarchiv und im Handelsregister, und dazu gehörten sowohl harmlose Papiere wie Grundbucheinträge oder Kaufverträge, aber auch mehrdeutige Überbleibsel mit eher provozierenderem Inhalt. In den Unterlagen zu den Hexenprozessen gab es vier oder fünf unmissverständliche Anspielungen auf die drei Freunde, so etwa, als ein gewisser Hepzibah Lawson am zehnten Juli 1692 vor dem Gericht von Oyer und vor Richter Hathorne unter Eid schwor, dass sich »vierzig Hexen und der Schwarze Mann in den Wäldern hinter dem Hause des Mr. Hutchinson zu treffen pflegten«, und eine gewisse Amity How erklärte während einer Verhandlung am achten August vor Richter Gedney, dass »Mr. G. B. (George Burroughs) in jener Nacht der Bridget S., dem Jonathan A., dem Simon O., der Deliverance W., dem Joseph C., der Susan P., der Mehitable C. und der Deborah B. das Signum des Teuffels aufgedrückt«.
Zudem gab es ein Verzeichnis von Hutchinsons unheimlicher Bibliothek, wie man sie nach seinem Verschwinden vorfand, sowie ein unvollendetes Manuskript in seiner Handschrift, verfasst in einem Geheimcode, den niemand zu entziffern vermochte. Ward ließ eine Fotokopie von diesem Manuskript anfertigen und fing beiläufig mit der Entschlüsselung des Codes an, sobald sie ihm geliefert wurde. Nach dem folgenden August wurden seine Bemühungen, diese Geheimschrift zu entschlüsseln, intensiv und fieberhaft, und seinen Äußerungen und seinem Verhalten nach zu folgern, hat er im Oktober oder November den Code tatsächlich entziffert. Er sagte allerdings nie, ob er Erfolg gehabt hatte oder nicht.
Von größtem direkten Interesse allerdings waren die Orne-Papiere. Ward brauchte nicht lange, um mithilfe einer identischen Handschrift etwas zu belegen, was er aus dem Brief an Curwen ohnehin schon längst vermutete: die Tatsache nämlich, dass Simon Orne und sein angeblicher Sohn ein und dieselbe Person waren. Wie Orne an seinen Briefpartner geschrieben hatte, war es in Salem nicht sicher, zu lange zu leben. Deshalb hatte er sich auf eine dreißig Jahre währende Reise ins Ausland begeben und war als vermeintlicher Angehöriger einer neuen Generation zurückgekehrt, um Anspruch auf seinen Besitz zu erheben. Orne hatte offenbar sorgfältig den Großteil seiner Korrespondenz vernichtet, doch die Bürger, die 1771 zur Tat gegen ihn
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