Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
da es große Erinnerungslücken bezüglich wichtiger finanzieller Angelegenheiten aufdeckte, mit denen er sich noch vor nur ein oder zwei Monaten befasst hatte. Irgendetwas stimmte nicht, denn ungeachtet der offensichtlichen Zusammenhänge und Logik seiner Rede gab es keinen normalen Grund für diese schlecht verhehlten Gedächtnislücken in solch wichtigen Angelegenheiten.
Auch wenn keiner dieser Männer Ward gut kannte, entging doch keinem von ihnen die Veränderung seiner Sprache und seines Verhaltens. Sie hatten gehört, dass er Altertumsforscher war, doch selbst die hoffnungslosesten Fälle seiner Zunft befleißigten sich im Alltag keiner so veralteten Redewendungen und Gesten. Insgesamt bot sich mit der rauen Stimme, den gelähmten Händen, dem schlechten Gedächtnis, der veränderten Sprache und Manieren das Bild einer schweren Erkrankung, die ohne Zweifel die Grundlage der sonderbaren Gerüchte der letzten Zeit bildete. Deshalb entschieden die Bankangestellten nach ihrem Gespräch, dass es höchste Zeit sei, sich einmal mit Ward senior zu unterhalten.
So fand am sechsten März 1928 in Mr. Wards Büro eine lange und ernste Diskussion statt, nach der der aufgelöste Vater in einer Art hilfloser Resignation Dr. Willett zu sich bat. Willett sah sich die angestrengten und unbeholfenen Unterschriften auf den Schecks an und verglich sie im Geiste mit der Handschrift jenes letzten panischen Briefes. Zweifelsohne hatte eine radikale und tief greifende Veränderung stattgefunden, und doch lag in der neuen Handschrift etwas unheimlich Vertrautes. Sie wies schwer entzifferbare und merkwürdig altertümliche Eigenheiten auf und schien dem bekannten Schriftzug des jungen Mannes überhaupt nicht zu ähneln. Es war seltsam – doch wo hatte er diese Handschrift zuvor schon gesehen?
Im Großen und Ganzen war offensichtlich, dass Charles den Verstand verloren hatte. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Und da es unwahrscheinlich erschien, dass er noch viel länger sein Eigentum verwalten oder mit der Außenwelt kommunizieren könne, musste rasch etwas unternommen werden, um ihn unter Aufsicht zu stellen und zu behandeln.
Nun wurden die Nervenärzte konsultiert, Dr. Peck und Dr. Waite aus Providence und Dr. Lyman aus Boston, denen Mr. Ward und Dr. Willett einen so detaillierten Bericht wie möglich über die Vorgeschichte des Falles gaben. Die Ärzte beratschlagten sich lang und breit in der nun unbenutzten Bibliothek ihres jungen Patienten und untersuchten seine zurückgelassenen Bücher und Unterlagen, um sich so ein besseres Bild von seiner geistigen Verfassung zu machen. Nachdem sie dieses Material sowie den Brief des jungen Mannes an Willett begutachtet hatten, fanden alle, dass Charles Wards umfangreiche Studien ausgereicht hätten, um jeden normalen Verstand aus der Fassung zu bringen oder zumindest nachteilig zu beeinflussen. Sie wollten dringend auch seine privaten Bücher und Dokumente sehen, doch ihnen war klar, dass sich dies, wenn überhaupt, nur nach einer Sicherstellung im Bungalow selbst bewerkstelligen ließe. Willett untersuchte den gesamten Fall jetzt noch einmal mit fieberhafter Energie. Er befragte nun auch die Handwerker, die Zeugen gewesen waren, als Charles die Dokumente von Curwen entdeckt hatte, und verglich die Vorfälle aus den beseitigten Zeitungsberichten, die er im Büro des Journal recherchierte.
Am Donnerstag, dem achten März, statteten die Doktoren Willett, Peck, Lyman und Waite in Begleitung von Mr. Ward dem jungen Mann einen folgenreichen Besuch ab. Sie verhehlten ihre Absichten keineswegs und stellten ihrem neuen Patienten sehr minutiöse Fragen.
Charles hatte zwar unmäßig lange gebraucht, um seinen Besuch zu empfangen, und roch noch nach seltsamen und abstoßenden Labordünsten, als er endlich aufgeregt auftauchte, erwies sich jedoch keineswegs als widerspenstig. Er gab offen zu, dass sein Gedächtnis und sein geistiges Gleichgewicht unter seinen abstrusen Studien etwas gelitten hätten. Er protestierte nicht, als man darauf bestand, ihn an einen anderen Ort zu bringen, und schien, abgesehen von dem Verlust seines Gedächtnisses, bei gesundem Verstand zu sein.
Sein Verhalten hätte seine Besucher verwirrt von dannen ziehen lassen, wären da nicht die ausnahmslos altertümliche Sprache und die deutliche Verdrängung moderner Vorstellungen durch ältere in seinem Bewusstsein gewesen, die ihn eindeutig als erkrankt kennzeichneten. Über seine Arbeit erzählte er den Ärzten auch nicht
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