Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
leben und fliegen in ihm mit unförmigen, mächtigen Schwingen, die irgendwie dem Äther zu widerstehen vermögen, die sich aber so schwer steuern lassen, dass sie auf der Erde kaum von Nutzen sind. Ich werde Ihnen später mehr darüber berichten, wenn Sie mich nicht bereits als Wahnsinnigen abtun. Die Wesen kommen her, um Metall aus Minen zu gewinnen, die tief unter den Bergen verlaufen. Ich glaube zu wissen, woher die Fremden stammen. Sie werden uns nichts tun, solange wir sie in Frieden lassen, doch niemand kann vorhersehen, was geschieht, wenn wir ihnen gegenüber zu große Neugierde entwickeln. Selbstverständlich könnte eine Truppe tüchtiger Männer ihre Bergbaukolonie auslöschen. Davor haben sie auch Angst. Doch wenn dies geschähe, kämen von draußen noch mehr von ihnen – in unbegrenzter Anzahl. Es wäre ihnen ein Leichtes, die Erde zu erobern, sie haben es aber bislang nicht versucht, weil dazu keine Notwendigkeit bestand. Sie lassen die Dinge lieber so, wie sie sind, und ersparen sich die Scherereien.
Ich glaube, sie wollen mich wegen meiner Entdeckungen beseitigen. Im Wald auf dem östlich von hier gelegenen Round Hill habe ich einen großen schwarzen Stein mit fast gänzlich abgewetzten unbekannten Hieroglyphen gefunden; seitdem ich ihn mit nach Hause genommen habe, hat sich alles geändert. Wenn sie glauben, dass ich zu viel weiß, dann werden sie mich entweder töten oder mich von der Erde fortschaffen und dorthin bringen, woher sie kommen . Dann und wann entführen sie gelehrte Männer, um sich über den Stand der Dinge in der Welt der Menschen zu unterrichten.
Das bringt mich zu dem zweiten Anlass meines Schreibens – nämlich Sie dazu anzuhalten, die gegenwärtige Debatte zum Schweigen zu bringen, anstatt ihr eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Menschen müssen von diesen Bergen ferngehalten werden, und um das zu gewährleisten, darf man ihre Neugier nicht weiter anstacheln. Der Himmel weiß, dass es schon genug Gefahren gibt – etwa die Werbeleute und Grundstücksmakler, die mit Scharen von Sommerurlaubern die verlassenen Gegenden Vermonts überschwemmen und die Berghänge mit billigen Bungalows überziehen möchten.
Ich würde mich über einen Austausch mit Ihnen sehr freuen und werde versuchen, Ihnen die fonografische Aufnahme und den schwarzen Stein (er ist so abgewetzt, dass auf Fotografien nicht viel zu erkennen ist) per Express zukommen zu lassen, falls Sie das wünschen. Ich sage ›versuchen‹, weil ich glaube, dass diese Geschöpfe Mittel und Wege gefunden haben, sich hier einzumischen. Auf einem Hof in der Nähe des Dorfes wohnt Brown, ein griesgrämiger, heimlichtuerischer Bursche, der meines Erachtens einer ihrer Spione ist. Nach und nach versuchen sie, mich von unserer Welt zu isolieren, da ich zu viel über ihre Welt weiß.
Sie verfügen über erstaunliche Mittel, um herauszufinden, was ich tue. Vielleicht erhalten Sie noch nicht einmal diesen Brief. Ich sollte diesen Teil des Landes wohl besser verlassen und zu meinem Sohn nach San Diego, Kalifornien, übersiedeln, wenn sich die Lage verschlimmert. Doch es fällt mir nicht leicht, den Ort meiner Geburt zu verlassen, an dem meine Familie seit sechs Generationen lebt. Zudem würde ich es kaum wagen, dieses Haus jemandem zu verkaufen, nun da die Kreaturen davon Kenntnis genommen haben. Sie versuchen anscheinend, den schwarzen Stein zurückzubekommen und die Fonografenaufnahme zu vernichten, doch wenn ich es nur irgendwie verhindern kann, lasse ich das nicht zu. Meine großen Wachhunde halten sie immer auf Abstand, denn es gibt bislang nur wenige der Geschöpfe hier, und sie bewegen sich nur sehr unbeholfen fort. Wie schon erwähnt, sind ihre Schwingen nicht für kurze Flüge auf der Erde geeignet. Ich stehe kurz davor, die Inschrift auf dem Stein zu entziffern (eine schreckliche Sache), und mit Ihrem Wissen auf dem Gebiet volkstümlicher Überlieferungen könnten Sie mir behilflich sein, die fehlenden Stellen zu ergänzen. Ich gehe davon aus, dass Sie umfassend über die furchtbaren Mythen unterrichtet sind, die im Necronomicon erwähnt werden und älter sind als die Menschheit selbst – die Zyklen über Yog-Sothoth und Cthulhu. Ich hatte einst Zugang zu einer Abschrift dieses Buches, und wie ich hörte, wird in der Bibliothek Ihrer Hochschule ein Exemplar hinter Schloss und Riegel verwahrt.
Um zum Ende zu kommen, Mr Wilmarth: Ich bin der Ansicht, dass wir mit unseren jeweiligen Kenntnissen einander sehr
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