Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
das sehen konnte, mit seiner leicht unregelmäßigen, gewölbten Oberfläche von ungefähr dreißig mal sechzig Zentimetern aufrecht vor der Kamera; doch um eine definitive Beschreibung der Oberfläche oder der Form des gesamten Steins zu liefern, reicht unsere Sprache nicht aus. Nach welchen fremdartigen geometrischen Grundsätzen dieser Stein geschnitten worden war – denn es stand außer Zweifel, dass es sich um eine künstlerische Bearbeitung handelte –, konnte ich noch nicht einmal im Ansatz erraten; nie zuvor hatte ich etwas so Sonderbares und in dieser Welt so eindeutig Fremdes gesehen. Die Hieroglyphen auf der Oberfläche waren kaum erkennbar, doch die wenigen, die ich sehen konnte, schockierten mich erheblich. Natürlich konnte es sich um eine arglistige Fälschung handeln, schließlich war ich nicht der Einzige, der das ungeheuerliche und abscheuliche Necronomicon des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred gelesen hatte. Dennoch schauderte es mich, als ich gewisse Schriftzeichen wiedererkannte, die ich aufgrund meiner Studien mit den grauenhaftesten und gotteslästerlichsten Wesen in Zusammenhang bringen musste, die noch vor der Schöpfung der Erde und der inneren Welten des Sonnensystems eine Art von irrwitziger Schattenexistenz geführt hatten.
Von den fünf übrigen Bildern zeigten drei Sumpf- und Berglandschaften, die Spuren von verborgen lebenden und unnatürlichen Bewohnern aufzuweisen schienen. Auf einem weiteren Foto war eine sonderbare Spur auf dem Gelände unmittelbar vor Akeleys Haus zu sehen, die er nach eigener Aussage am Morgen nach einer Nacht fotografiert hatte, in der die Hunde heftiger als sonst gebellt hatten. Das Foto war zu undeutlich, als dass man aus ihm Schlüsse hätte ziehen können, dennoch wies die Spur eine teuflische Ähnlichkeit mit den Abdrücken auf, die im einsamen Hochland aufgenommen worden waren. Das letzte Bild schließlich zeigte das Anwesen der Akeleys: ein adrettes weißes Haus, rund hundertzwanzig Jahre alt, mit zwei Stockwerken und einer Mansarde. Ein steingefasster Gehweg führte über den gepflegten Rasen zu einem geschmackvoll angefertigten georgianischen Portal. Auf dem Rasen hockten mehrere große Wachhunde neben einem freundlich lächelnden Mann mit kurz geschnittenem grauen Bart. Dies musste Akeley sein, der sich selbst fotografiert hatte, wie man an dem Auslöser in seiner rechten Hand sehen konnte.
Nach den Bildern wandte ich mich dem umfangreichen, eng beschriebenen Brief zu. In den folgenden drei Stunden fand ich mich in einem Strudel unsäglichen Grauens wieder. Wo Akeley zuvor nur Andeutungen gemacht hatte, ging er nun in kleinste Details: Vor mir lagen lange Abschriften der Worte, die er nachts im Wald gehört hatte, umfassende Berichte über monströse rosafarbene Gestalten, die er während der Abenddämmerung im Dickicht der Berge beobachtet hatte, und eine schreckliche Kosmologie, die aus der Begegnung seiner profunden und vielseitigen Gelehrsamkeit mit den endlosen Monologen des irrsinnigen selbst ernannten Spions, der später Selbstmord beging, entstanden war. Ich fand mich konfrontiert mit Namen und Begriffen, die mir andernorts nur in den allerscheußlichsten Zusammenhängen begegnet waren – Yuggoth, der Große Cthulhu, Tsathoggua, Yog-Sothoth, R’lyeh, Nyarlathotep, Azathoth, Hastur, Yian, Leng, der See von Hali, Bethmoora, das Gelbe Zeichen, L’mur-Kathulos, Bran und das Magnum Innominandum –, und ich wurde durch namenlose Äonen und unermessliche Dimensionen zurück in Welten ältester, fernster Existenz gerissen, von denen der wahnsinnige Autor des Necronomicon nur eine überaus nebelhafte Ahnung gehabt hatte. Ich wurde belehrt über die Abgründe urzeitlichen Lebens und über die Wasser, die sich daraus ergossen; ein winziges Rinnsal aus diesen Strömen hatte sich mit den Geschicken unserer eigenen Welt vermischt.
Meine Gedanken überschlugen sich. Hatte ich zuvor die Dinge wegzuerklären versucht, so glaubte ich nun allmählich an die unnatürlichsten und unwahrscheinlichsten Wunder. Die Unmenge grundlegender Beweise war erdrückend, und Akeleys kühle, wissenschaftliche Vorgehensweise – die so weit von jeder denkbaren verrückten, fanatischen, hysterischen oder sonst wie extravaganten Form der Spekulation entfernt war – wirkte sich immens auf mein Denken und meine Urteilsbildung aus. Als ich den fürchterlichen Brief beiseitelegte, konnte ich die Ängste, die Akeley entwickelt hatte, gut nachvollziehen, und ich wollte alles
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