Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
sein, und die Hunde hatte er möglicherweise verkauft; doch das völlige Fehlen von jedem Schnattern oder Grunzen war wirklich ungewöhnlich.
Ich blieb nicht lange auf dem Gehweg stehen, sondern schritt resolut durch die offene Haustür und schloss sie hinter mir. Es kostete mich eine beträchtliche Willensanstrengung, und nun, da ich im Hausinnern eingeschlossen war, verspürte ich für einen Augenblick das Verlangen, überstürzt den Rückzug anzutreten. Nicht, dass das Haus in irgendeiner sichtbaren Form bedrohlich oder düster gewirkt hätte; ganz im Gegenteil erschien mir die anmutige Eingangshalle im spätkolonialen Stil sehr geschmackvoll und einladend, und ich bewunderte das offenkundige Stilbewusstsein des Mannes, der sie eingerichtet hatte. Etwas sehr Vages und Undefinierbares gab mir den Wunsch zur Flucht ein. Vielleicht lag es an einem merkwürdigen Geruch, den ich zu bemerken glaubte – allerdings wusste ich nur zu gut, dass sich selbst in den besten alten Gutshäusern modrige Gerüche nicht ganz vermeiden ließen.
VII
Ich ließ mich von diesen unklaren Bedenken nicht überwältigen, rief mir Noyes’ Anweisungen ins Gedächtnis und öffnete die weiße Tür mit dem Messinggriff zu meiner Linken. Das Zimmer dahinter war verdunkelt, wie man es mir gesagt hatte. Beim Eintreten bemerkte ich, dass der eigentümliche Geruch hier stärker war. Außerdem schien eine schwache, kaum merkliche rhythmische Schwingung oder Vibration den Raum zu durchdringen. Einen Moment lang konnte ich wegen der geschlossenen Jalousien kaum etwas sehen, aber dann lenkte eine Art entschuldigendes Räuspern oder Flüstern meine Aufmerksamkeit auf einen großen Lehnstuhl im entlegensten und dunkelsten Winkel des Raumes. Im tiefen Schatten sah ich verschwommen das weiße Gesicht und die Hände eines Mannes, und ich trat vor, um die Gestalt zu begrüßen, die zu sprechen versucht hatte. So schwach das Licht auch war, ich erkannte, dass es sich in der Tat um meinen Gastgeber handelte. Ich hatte das Kodak-Foto wiederholt studiert, und sein festes, wettergegerbtes Gesicht mit dem kurzen grauen Bart war unverkennbar.
Doch schon beim zweiten Blick mischten sich Trauer und Sorge in meine Freude, denn dies war ohne Zweifel das Gesicht eines sehr kranken Menschen. Dieser angestrengte, erstarrte, unbewegliche Gesichtsausdruck und der starre, glasige Blick waren nicht allein mit einem Asthmaanfall zu erklären; ich erkannte, auf welch grauenhafte Art seine fürchterlichen Erlebnisse an ihm gezehrt haben mussten. Hätten sie denn nicht jeden Menschen gebrochen – selbst jüngere Männer als diesen unerschrockenen Erforscher des Verbotenen? Ich befürchtete, dass die seltsame und plötzliche Erleichterung zu spät eingetreten war, um ihn noch vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Seine mageren Hände, die so schlaff und leblos im Schoß lagen, boten einen erbarmungswürdigen Anblick. Er trug einen lockeren Morgenrock, Kopf und Hals waren in einen leuchtend gelben Schal gehüllt.
Dann bemerkte ich, dass er in demselben abgehackten Flüstern, mit dem er mich begrüßt hatte, mir etwas sagen wollte. Anfangs fiel es mir schwer, sein Flüstern zu verstehen, da sein grauer Schnurrbart jede Bewegung der Lippen verbarg und irgendetwas im Timbre der Stimme mich immens verwirrte. Doch ich konzentrierte mich, und bald gelang es mir überraschend gut, das Gesprochene zu verstehen. Sein Akzent war keinesfalls ländlich, und seine Sprache gewählter, als ich von seinen Briefen her erwartet hätte.
»Mr Wilmarth, wie ich vermute? Ich muss Sie um Verzeihung bitten, dass ich nicht aufstehe. Ich bin sehr krank, wie Mr Noyes Ihnen sicher schon gesagt hat; ich konnte aber nicht einfach so auf Ihren Besuch verzichten. Sie wissen ja, was ich Ihnen in meinem letzten Brief schrieb – morgen, wenn es mir sicherlich etwas besser geht, werde ich Ihnen viel zu erzählen haben. Ich kann Ihnen kaum sagen, wie es mich freut, Sie nach all diesen Briefen endlich persönlich zu treffen. Sie haben die Briefe ja sicherlich mitgebracht? Und die Kodak-Abzüge und die Tonaufnahme? Noyes hat Ihre Reisetasche in der Eingangshalle abgestellt, Sie haben sie sicher schon gesehen. Ich fürchte, Sie werden sich heute Abend leider größtenteils um sich selbst kümmern müssen. Ihr Zimmer befindet sich im ersten Stock, direkt über diesem hier, und am Ende der Treppe finden Sie das Badezimmer, die Tür steht offen. Im Esszimmer, wenn Sie hier hinausgehen zur Rechten, ist ein Mahl
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