Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Landstraße waren alle möglichen Spuren zu sehen, obwohl in dieser Gegend doch kaum jemand unterwegs war. Mit leichter Neugier untersuchte ich einige der verschiedenartigen Spuren, um mich von den makabren Gedanken abzulenken, die dieser Ort mir eingab. Etwas Bedrohliches und Unbehagliches lag in der Grabesstille, dem gedämpften, unterschwelligen Plätschern der fernen Bäche, den grünen Gipfeln und von schwarzen Wäldern bewachsenen Steilhängen, die den Horizont einengten.
Und dann wurde mir etwas schlagartig bewusst, das diese vagen Befürchtungen und Fantastereien harmlos und unbedeutend erscheinen ließ. Ich sagte bereits, dass ich mit müßiger Neugierde die unterschiedlichen Spuren auf der Straße begutachtete – doch mit einem Schlag wurde diese Neugierde von einem benommen machenden, entsetzlichen Grauen ausgelöscht. Denn obwohl die Spuren im Staub recht undeutlich waren, sich überschnitten und sonst nicht ins Auge gefallen wären, hatte mein rastloser Blick dort, wo der Gehweg zum Haus von der Straße abging, bestimmte Details erkannt – und hatte jenseits von Zweifel und Hoffnung ihre fürchterliche Bedeutung erfasst. Ach, nicht umsonst hatte ich viele Stunden über den Kodak-Fotos von den Klauenspuren der Außerweltlichen gebrütet, die Akeley mir geschickt hatte! Nur zu gut kannte ich die Spuren dieser widerlichen Krebsscheren, die diese Ungeheuer als Wesen nicht von dieser Welt entlarvten. Nun war jede Möglichkeit eines gnädigen Irrtums ausgeschlossen: Hier vor meinen Augen waren, sicherlich erst wenige Stunden alt, mindestens drei Spuren, die auf blasphemische Weise hervorstachen aus der überraschenden Fülle an verwischten Fährten, die zu dem Gutshaus Akeleys und von ihm fort führten. Es waren die teuflischen Spuren der lebenden Pilze vom Yuggoth .
Ich riss mich gerade rechtzeitig zusammen, um einen Schrei zu unterdrücken. Was konnte ich auch anderes erwarten, wenn ich Akeleys Briefen wirklich Glauben schenkte? Er hatte mir berichtet, dass er mit den Wesen Frieden geschlossen hatte. Wieso sollte es mir dann merkwürdig erscheinen, dass ein paar von ihnen sein Haus aufgesucht hatten? Doch das Entsetzen überwog den Versuch, mich zu beruhigen. Konnte irgendein Mensch ungerührt bleiben, wenn er zum ersten Mal die Klauenspuren von Lebewesen aus den Tiefen des Alls erblickte? In diesem Augenblick sah ich Noyes aus dem Haus treten und mit raschen Schritten auf mich zukommen. Ich musste mich wieder unter Kontrolle bekommen, denn es war sehr gut möglich, dass dieser hilfsbereite Freund nichts wusste von Akeleys tief greifenden und enormen Vorstößen in verbotene Bereiche.
Noyes informierte mich, dass Akeley froh über meine Ankunft sei und mich gleich sehen wolle, wenngleich der plötzliche Asthmaanfall ihm in den nächsten paar Tagen verwehren würde, mir ein guter Gastgeber zu sein. Die Anfälle würden ihm jedes Mal schwer zusetzen, da sie stets von Fieberschüben und allgemeinen Schwächezuständen begleitet seien. Er sei dann zu so gut wie nichts zu gebrauchen – er könne nur flüsternd sprechen und bewege sich ziemlich unbeholfen und schwächlich. Auch würden seine Füße und Knöchel anschwellen, weshalb er sie wie ein gichtkranker Rohfleischesser bandagieren müsse. Heute sei sein Zustand recht mäßig, darum müsse ich mich größtenteils selbst um mein Wohl kümmern; dessen ungeachtet freue er sich schon auf unsere Unterhaltung. Ich könne ihn in dem Arbeitszimmer zur Linken der Eingangshalle finden – dem Raum, in dem die Jalousien heruntergelassen seien. Im Krankheitsfall müsse er das Sonnenlicht meiden, seine Augen seien überaus empfindlich.
Als Noyes sich von mir verabschiedet hatte und mit seinem Wagen Richtung Norden losfuhr, ging ich langsam auf das Haus zu. Die Tür stand noch weit offen, doch ehe ich eintrat, ließ ich meinen suchenden Blick über die gesamte Umgebung schweifen, um herauszufinden, was mir vorhin daran so sonderbar erschienen war. Die Schuppen und Scheunen sahen ordentlich und normal aus, und ich entdeckte Akeleys verbeulten Ford in einem geräumigen offen stehenden Schuppen. Dann wurde mir bewusst, was mir so eigenartig vorkam: Es war die völlige Stille. Für gewöhnlich sorgt auf einem Hof der Viehbestand für einen zumindest gedämpften Geräuschpegel, aber hier fehlten alle Geräusche des Lebens. Was war mit den Hühnern und den Schweinen? Die Kühe, von denen Akeley mehrere besaß, wie er mir geschrieben hatte, mochten draußen auf der Weide
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