Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
konnte, dass diesmal nackte Furcht sein Beweggrund war. Er versuchte, irgendeinen Lärm zu erzeugen, um etwas abzuwehren oder zu übertönen – doch was, das vermochte ich mir nicht auszumalen, wenngleich ich spürte, dass es etwas Grauenhaftes sein musste. Sein Spiel wurde unwirklich, rasend und hysterisch, bewahrte sich indes bis zum Schluss die Eigenschaft eines erhabenen Genies, das, wie ich wusste, diesem seltsamen alten Mann zu eigen war. Ich erkannte die Weise – es war ein wilder ungarischer Tanz, der in den Theatern beliebt war, und einen Augenblick lang dachte ich darüber nach, dass dies das erste Mal war, dass ich Zann das Werk eines anderen Komponisten spielen hörte.
    Immer lauter und immer wilder stieg das Kreischen und Wimmern der rasenden Violine an. Der Musiker war auf unheimliche Weise in Schweiß gebadet und zuckte wie ein Affe, wobei er stets panische Blicke auf das verhangene Fenster warf. In seinen irren Melodien sah ich geradezu Satyrn und Bacchantinnen, wie sie wahnsinnig durch brodelnde Abgründe voller Wolken und Rauch und Blitze tanzten und wirbelten. Und dann glaubte ich, einen schrilleren, stetigeren Ton zu hören, der nicht von der Violine herrührte; ein ruhiger, besonnener, entschlossener, höhnischer Ton von weit her aus dem Westen.
    In diesem Augenblick begann der Fensterladen, in dem heulenden Nachtwind zu klappern, der sich draußen wie zur Antwort auf das irre Spiel im Zimmer erhoben hatte. Zanns kreischende Violine übertraf sich nun selbst darin, Klänge zu erzeugen, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ein solches Instrument sie zu erzeugen vermöge. Der Fensterladen klapperte lauter, riss sich los und fing an, gegen das Fenster zu schlagen. Dann barst das Glas schauerlich unter den beständigen Schlägen, und der eisige Wind stürmte herein, ließ die Kerzen flackern und die Papierbögen auf dem Tisch rascheln, wo Zann mit der Niederschrift seines grausigen Geheimnisses begonnen hatte. Ich blickte zu Zann hinüber und sah, dass er nicht mehr bei vollem Bewusstsein war. Seine blauen Augen traten glasig und blind hervor, und das frenetische Spiel war zu einer unbewussten, mechanischen und unkenntlichen Orgie geworden, die keine Feder je auch nur andeuten könnte.
    Ein plötzlicher Windstoß, stärker als die vorangegangenen, ergriff die beschriebenen Seiten und fegte sie zum Fenster. Verzweifelt griff ich nach ihnen, doch sie waren fort, ehe ich die zerbrochenen Fensterscheiben erreicht hatte. Dann entsann ich mich meines alten Wunsches, aus diesem Fenster zu blicken, dem einzigen Fenster in der Rue d’Auseil, von dem aus man den Abhang jenseits der Mauer und die sich darunter ausbreitende Stadt sehen konnte. Es war sehr finster, doch die Lichter der Stadt brannten nachts schließlich immer, und ich erwartete, sie inmitten von Regen und Wind zu erblicken. Doch als ich aus diesem höchsten aller Giebelfenster sah, während die Kerzen flackerten und die wahnsinnige Violine gemeinsam mit dem Nachtwind heulte, erblickte ich keine Stadt, die sich unter mir erstreckte und in der freundliche Lichter in vertrauten Straßen brannten, sondern allein die Schwärze eines grenzenlosen Raumes; eines unvorstellbaren Raumes, von lebendiger Regung und Musik erfüllt und mit nichts auf Erden zu vergleichen. Wie ich dastand und voller Entsetzen hinaussah, blies der Wind die beiden Kerzen in jener uralten Mansarde aus und ließ mich zurück in grausamer und undurchdringlicher Dunkelheit; vor mir das dämonische Chaos und hinter mir der Irrsinn der Geige, die in die Nacht hinausschrie.
    Ich taumelte in der Finsternis zurück, ohne die Möglichkeit, ein Licht anzuzünden, stieß gegen den Tisch, warf einen Stuhl um und tastete mich schließlich zu der Stelle, wo in der Dunkelheit die erschütternde Musik kreischte. Ich wollte mich und Erich Zann retten, musste es zumindest versuchen, welche Kräfte sich mir auch immer entgegenstellen mochten. Einmal glaubte ich, etwas Kaltes streife mich, und ich schrie auf, doch ging mein Schrei in der scheußlichen Musik der Violine unter. Plötzlich traf mich aus der Dunkelheit der wie toll sägende Bogen, und ich wusste, ich war dem Spielenden nahe. Ich tastete mich vorwärts, berührte die Rückenlehne von Zanns Stuhl und fand dann seine Schulter, die ich schüttelte, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen.
    Er reagierte nicht darauf, und die Violine kreischte ohne Unterlass weiter. Ich legte ihm die Hand auf den Kopf und konnte seinem mechanischen Nicken

Weitere Kostenlose Bücher