Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Flächen zwischen den Hügeln, die sich zumeist entlang der ehemaligen Straße erstreckten, nisteten kleine Bauernhöfe; bei einigen waren alle Gebäude noch intakt, bei anderen nur noch ein oder zwei, und manchmal war nicht mehr als ein einsamer Kaminschlot oder ein verschütteter Keller übrig geblieben. Unkraut und Dornensträucher hatten die Herrschaft angetreten, und im Gestrüpp raschelten verstohlen wilde Tiere. Über allem lag ein Schleier von Ruhelosigkeit und Bedrückung; ein Hauch des Unwirklichen und Grotesken, als sei ein wichtiger Bestandteil der Perspektive oder des Wechselspiels zwischen Hell und Dunkel missraten. Ich wunderte mich nicht mehr darüber, dass kein Fremder hier bleiben wollte; dies war keine Gegend, in der man ruhig schlafen konnte. Sie glich viel zu sehr einer Landschaft von Salvator Rosa oder einem abstoßenden Holzschnitt zu einer Schauergeschichte.
Doch all das war nicht so schlimm wie die verfluchte Heide selbst. Ich erkannte sie in dem Augenblick, als ich am Grunde eines weitläufigen Tales auf sie stieß – kein anderer Name hätte besser zu dieser Landschaft gepasst, und keine andere Landschaft zu diesem Namen. Es war, als sei die Bezeichnung ›verfluchte Heide‹ allein für diesen Landstrich geprägt worden. Als ich sie sah, hielt ich sie zuerst für das Ergebnis einer Feuersbrunst; aber weshalb war danach nichts mehr auf dieser grauen zwanzigtausend Quadratmeter großen Wüstenei gewachsen, die sich unter dem Himmel ausdehnte wie ein Fleck, den Säure in Wald und Felder gefressen hatte? Das Gebiet befand sich zum größten Teil nördlich der alten Straße, reichte aber an einer Stelle auf die andere Seite herüber. Ich fühlte mich sonderbar befangen, als ich mich dem Gebiet näherte, und tat es schließlich nur, weil mein Beruf es von mir verlangte. Auf diesem gewaltigen Landstreifen gab es keinerlei Vegetation, nur feinen grauen Staub oder Asche, die kein Wind je aufzuwirbeln schien. Die Bäume in der Nähe waren kränklich und verkrüppelt, und am Rande des Gebiets lagen und standen viele faulende, abgestorbene Stümpfe. Als ich eilig dahinschritt, sah ich zu meiner Rechten die geborstenen Ziegelsteine eines eingestürzten Kamins und eines Kellergewölbes sowie das gähnend schwarze Maul eines aufgegebenen Brunnens, über dessen abgestandenem Wasser die Luft sonderbar im Sonnenlicht flimmerte. Im Vergleich zum Aufenthalt auf der Heide erschien mir selbst die lange Kletterpartie durchs dunkle Waldgebiet angenehm, und ich wunderte mich nicht mehr über das ängstliche Geflüster der Menschen von Arkham. In der näheren Umgebung hatte ich sonst kein Haus und keine Ruine gesehen; dieser Ort musste selbst zu alten Zeiten schon einsam und entlegen gewesen sein. Später in der Abenddämmerung hätte mich nichts dazu bewegen können, dieses unheimliche Gebiet erneut zu durchqueren; lieber machte ich einen Umweg und kehrte über die neue gewundene Straße im Süden zur Stadt zurück. Ich verspürte undeutlich den Wunsch, ein paar Wolken möchten doch aufziehen, denn beim Anblick der tiefen Himmelsschluchten über mir wurde meine Seele von einer sonderbaren Angst ergriffen.
Am Abend befragte ich in Arkham einige ältere Leute über die verfluchte Heide und die Bedeutung des Ausdrucks »die seltsamen Tage«, die so viele mit Widerwillen vor sich hin flüsterten. Ich erhielt jedoch nur ausweichende Antworten, fand aber heraus, dass das ganze Rätsel wesentlich jüngeren Datums war, als ich vermutet hatte. Es beruhte überhaupt nicht auf einer alten Legende, sondern auf etwas, das zu Lebzeiten derer passiert war, mit denen ich sprach. Es hatte sich in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts zugetragen; eine Familie war entweder verschwunden oder ermordet worden. Meine Gesprächspartner wollten nicht richtig mit der Sprache heraus; sie alle sagten mir nur, ich solle den verrückten Geschichten des alten Ammi Pierce kein Gehör schenken. Genau aus diesem Grund suchte ich den Mann am nächsten Morgen auf, nachdem ich herausgefunden hatte, dass er allein in einer uralten, verfallenen Hütte wohnte, dort wo der dichte Wald begann. Es handelte sich um ein furchtbar altes Gebäude, das den schwachen Gifthauch ausströmte, der Häusern zu eigen ist, die schon seit langer Zeit stehen. Erst nach beharrlichem Anklopfen kam der Alte gemächlich herbeigeschlurft und öffnete mir. Ich erkannte, dass er über meinen Besuch nicht erfreut war. Er wirkte nicht so schwächlich, wie ich es
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