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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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teuflische Sarabanden über verfluchten Sümpfen tanzen –, und dieses Licht war von jener namenlosen, fremdartigen Farbe, die Ammi mittlerweile kannte und fürchtete. Die ganze Zeit über nahm der phosphoreszierende Lichtstrahl aus dem Brunnen an Helligkeit zu und erfüllte die dicht zusammengedrängt stehenden Männer mit einem unheilvollen und abnormen Gefühl, das alles Vorstellbare weit übertraf. Es strahlte nicht mehr aus dem Brunnen, es ergoss sich daraus, und der formlose Strom unbeschreiblicher Farbe schien geradewegs gen Himmel zu fließen.
    Der Tierarzt erschauderte und ging zur Haustür, um den schweren Riegel vorzulegen. Auch Ammi zitterte, und weil er seine Stimme nicht mehr unter Kontrolle hatte, musste er seine Nachbarn am Ärmel zupfen, um sie auf das zunehmende Glühen der Bäume aufmerksam zu machen. Das Wiehern und Stampfen der Pferde hatte fürchterliche Ausmaße angenommen, doch um nichts in der Welt hätte ein Angehöriger der Gruppe sich aus dem alten Haus herausgewagt. Mit jedem Augenblick nahm das Strahlen der Bäume zu, und ihre rastlosen Äste schienen sich immer gerader in den Himmel zu strecken. Der Brunnenschwengel strahlte nun ebenfalls, und bald darauf wies einer der Polizisten wortlos auf einige Holzverschläge und Bienenkörbe neben der westlich gelegenen Steinmauer. Auch sie begannen zu leuchten; die Fahrzeuge der Besucher schienen jedoch noch nicht betroffen zu sein. Dann waren auf der Straße ein wilder Tumult und heftiges Stampfen zu hören, und als Ammi eine Laterne verdunkelte, um besser sehen zu können, erkannten sie, dass das Grauschimmelgespann sich in seiner Panik vom Baum losgerissen hatte und mitsamt dem Mannschaftswagen geflüchtet war.
    Nach diesem Schock lösten sich die Zungen wieder, und die Männer flüsterten verstohlen miteinander. »Es breitet sich auf alles Organische aus, das sich in seiner Nähe befindet«, murmelte der Gerichtsmediziner. Niemand gab eine Antwort darauf, doch der Mann, der in den Brunnen hinabgestiegen war, vermutete, dass er mit seiner Stange etwas Ungreifbares aufgerüttelt haben müsse. »Es war schrecklich«, fügte er hinzu. »Da war überhaupt kein fester Boden. Einfach nur Schleim und Blasen. Ich hatte das Gefühl, dass dort unten irgendetwas lauert.« Noch immer stampfte Ammis Pferd draußen auf der Straße und wieherte so ohrenbetäubend, dass es die schwache, bebende Stimme seines Besitzers beinahe übertönte, als er seinen unzusammenhängenden Gedanken Luft machte: »Es kam aus dem Stein – es is dort unten gewachsen – es hat sich alles Lebendige genommen – es hat sich davon ernährt, von Leib und Seele – von Thad un Merwin, Zenas un Nabby – Nahum war der Letzte – sie ham alle von dem Wasser getrunken – es hat sie erledigt – es kommt von weit her, wo nichts so ist wie hier – jetzt geht’s wieder heim.«
    In diesem Augenblick flackerte die Lichtsäule plötzlich stärker auf und verwob sich zu fantastischen undeutlichen Formen, die jeder Betrachter anders beschrieb. Der arme angebundene Hero gab in diesem Moment einen Laut von sich, den weder davor noch danach jemand von einem Pferd gehört hat. Jeder in dem niedrigen Wohnzimmer hielt sich die Ohren zu, und Ammi wandte sich voller Grauen und Ekel vom Fenster ab. Worte vermochten es nicht zu schildern. Als Ammi wieder aus dem Fenster blickte, lag das unglückliche Tier reglos zwischen den zersplitterten Balken der kleinen Kutsche auf dem mondbeschienenen Boden. Am nächsten Morgen begruben sie Hero, doch im Augenblick blieb keine Zeit zur Trauer, denn fast im selben Moment machte einer der Polizisten die anderen stumm darauf aufmerksam, dass sich bei ihnen im Raum etwas Schreckliches abspielte. Ohne das Licht der Lampe war deutlich ein schwaches Phosphoreszieren erkennbar, das sich im gesamten Zimmer auszubreiten schien. Es glühte auf den breiten Bodendielen und dem Flickenteppich, es schimmerte auf den Rahmen der kleinen Fenster. Es strömte an den frei liegenden Stützbalken entlang, funkelte am Wandschrank und am Kamin und griff auf die Türen und das Mobiliar über. Mit jeder Minute nahm es zu, und endlich wurde allen klar, dass sie dieses Haus sofort verlassen mussten.
    Ammi zeigte ihnen die Hintertür und wies ihnen den Weg über die Felder hinauf zur großen Weide. Wie benommen liefen und stolperten sie, und sie wagten sich nicht umzudrehen, ehe sie nicht weit oben auf dem höher liegenden Feld angelangt waren. Sie waren froh, dass sie diesen Weg nehmen

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