Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Bauern behaupten, die Pest würde sich mit jedem Jahr zentimeterweise ausbreiten, also gibt es vielleicht noch eine Art Wachstum. Doch welche dämonische Brut da auch sein mag, sie muss an irgendetwas gebunden sein, sonst würde sie sich rascher ausbreiten. Ist sie an die Wurzeln der Bäume gekettet, deren Äste wie Krallen in die Luft greifen? In Arkham geht derzeit eine Geschichte von großen Eichen um, die in der Nacht strahlen und sich bewegen, wie sie es eigentlich nicht tun sollten.
Was das alles ist, weiß nur Gott allein. In materiellen Begriffen könnte man das, was Ammi beschrieb, wohl eine Art Gas nennen, doch ist dieses Gas anderen Gesetzen als jenen unseres Kosmos unterworfen. Es war nicht die Frucht solcher Welten und Sonnen, die in den Teleskopen und auf den Fotografien unserer Sternwarten erstrahlen. Es war kein Hauch aus den Himmeln, deren Regungen und Dimensionen von unseren Astronomen gemessen werden – oder die sie für zu groß erachten, um sie zu messen. Es war nur eine Farbe aus dem All – ein fürchterlicher Sendbote aus ungestalten Reichen der Unendlichkeit fernab der Natur, wie wir sie kennen; aus Reichen, deren bloße Existenz unseren Verstand überfordert, aus schwarzen außerkosmischen Abgründen, die sich vor unserem ängstlichen Blick auftun.
Ich bezweifle sehr, dass Ammi mich bewusst angelogen hat, und ich bin nicht der Ansicht, seine Erzählung sei das Hirngespinst eines Irren, wie es mir die Städter zuvor gesagt hatten. Mit jenem Meteor kam etwas Schreckliches in die Hügel und Täler, und etwas Schreckliches ist noch immer dort, auch wenn ich sein Ausmaß nicht kenne. Ich bin froh, dass das Wasser alles überfluten wird. In der Zwischenzeit hoffe ich, dass Ammi nichts zustößt. Er hat das Ding so oft gesehen – und es hatte einen so heimtückischen Einfluss. Weshalb ist es ihm nie gelungen, von dort fortzuziehen? Wie deutlich er sich an Nahums letzte Worte erinnerte – »man kommt nich mehr weg – es zieht dich runter – du weißt, dass was kommt, aber es is sinnlos«. Ammi ist ein so gutmütiger alter Mann – wenn die Baukolonne am Staubecken ihre Arbeit aufnimmt, muss ich dem Chefingenieur schreiben, dass er ein wachsames Auge auf ihn wirft. Nichts finde ich abscheulicher als die Vorstellung, er könne zu der grauen, verkümmerten, ausgetrockneten Monstrosität werden, die mich immer häufiger im Schlaf heimsucht.
Vorwort zu »Geschichte des Necronomicons« (History and Chronology of the Necronomicon)
Das Necronomicon ist eine der wohl berühmtesten von Lovecrafts Schöpfungen geworden. Unzählige Okkultisten haben versucht, es ausfindig zu machen, sogar schon zu Lovecrafts Lebzeiten, obwohl dieser selbst immer wieder in Briefen und Gesprächen mit Freunden betont hat, dass dieses sozusagen archetypische »verbotene Buch« nur eine, und zwar seine Erfindung sei. Immerhin hat sich Lovecraft das Vergnügen erlaubt, eine fiktive Geschichte für sein bevorzugtes verbotenes Buch zu ersinnen. Im Hintergrund stand wohl das ganz pragmatische Bedürfnis, die diversen Anspielungen in seinen Geschichten nicht etwa in Widerspruch miteinander geraten zu lassen. Das Autograf des folgenden Textes steht auf der Rückseite eines Briefes, den William L. Bryant, der Direktor eines Museums in Providence, am 27. April 1927 an Lovecraft geschrieben hatte.
Lovecraft erwähnt das Necronomicon zum ersten Mal in ›The Hound‹ (geschrieben Sept. 1922), dort eher beiläufig. Doch sollte sich diese Schöpfung Lovecrafts sehr eigentümlich von ihrem Autor emanzipieren (der Name Abdul Alhazred erscheint unabhängig schon in ›The Nameless City‹). Lovecraft wusste sehr genau, dass sich die »tatsächlichen« Zauberbücher durch geistige Monotonie, hohle Versprechungen und halb verdautes Wissen aus dem kulturellen Strandgut vieler Epochen auszeichnen. Darum schuf er sein eigenes magisches Buch, wenn auch nur als Fiktion.
Den arabischen Titel »Al Azif« (arabisch: »das Heulen« oder »Pfeifen«, sc. der Dämonen in der Wüste) verdankt Lovecraft, wie schon lange bekannt, den gelehrten Anmerkungen von Samuel Henley zu Beckfords fantastisch-orientalisierendem Roman Vathek in der (von Beckford nicht autorisierten) Ausgabe London 1786 (ein zentrales Buch in den Annalen der fantastischen Literatur). Der Titel der (nicht weniger fiktiven) griechischen Übersetzung »Necronomicon« bedeutet »an image (or picture) of the Law of the Dead« (Brief an Harry O. Fischer, Febr. 1937) (zu nekrós »tot«,
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