Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
nachdem er eine Reise an seltsame Orte im Ausland unternommen hatte – nachdem einige schreckliche Beschwörungen unter merkwürdigen und geheimen Umständen rezitiert worden waren und nachdem auf diese Beschwörungen deutliche Antworten erfolgten und unter qualvollen und unerklärlichen Bedingungen ein panischer Brief geschrieben worden war – nach der Welle des Vampirismus und dem düsteren Klatsch in Pawtuxet – und nachdem das Gedächtnis des Patienten anfing, Gegenwärtiges zu vergessen, seine Stimme versagte und sein Aussehen sich so subtil veränderte, dass es später so vielen Leuten auffiel.
Erst zu dieser Zeit, so argumentiert Willett heftig, setzten die albtraumhaften Merkmale bei Ward ein. Der Arzt ist sich, auch wenn er dabei erschaudert, sicher, dass genügend überzeugende Beweise vorliegen, um die Behauptungen des jungen Mannes über seine bedeutsame Entdeckung zu belegen. Zum einen sahen zwei intelligente Arbeiter, wie die Dokumente von Joseph Curwen gefunden wurden. Zum anderen zeigte der junge Ward ihm einmal diese Unterlagen und eine Seite aus Curwens Tagebuch, und jedes dieser Dokumente schien echt zu sein. Die Stelle, an der Ward behauptete, sie gefunden zu haben, ist eine sichtbare Realität, und Willett hat einen letzten, sehr überzeugenden Blick darauf geworfen, allerdings unter Umständen, die kaum geglaubt und vielleicht nie bewiesen werden können. Dann waren da noch die Rätsel und Übereinstimmungen in den Briefen von Orne und Hutchinson und das Problem der Handschrift von Curwen sowie das, was die Ermittler über Dr. Allen herausfanden – und dazu die schreckliche Botschaft in mittelalterlicher Minuskelschrift, die Willett in seiner Tasche fand, als er nach seinem schockierenden Erlebnis das Bewusstsein wiedererlangte.
Doch am überzeugendsten von allem sind die beiden grässlichen Ergebnisse, die der Arzt während seiner letzten Untersuchungen mithilfe eines Formelpaares erzielte; Ergebnisse, welche die Echtheit der Unterlagen und ihre ungeheuerlichen Implikationen in ebendem Moment bewiesen, als diese Unterlagen für immer dem menschlichen Wissen entzogen wurden.
2
Man muss Charles Wards früheres Leben als etwas betrachten, das ebenso der Vergangenheit angehört wie die Altertümer, die er so innig liebte. Nachdem er bereits bei der militärischen Ausbildung seinerzeit beträchtlichen Eifer gezeigt hatte, begann er im Herbst 1918 sein erstes Jahr in der Moses Brown School, die ganz in der Nähe seines Elternhauses lag. Das alte, 1819 errichtete Hauptgebäude hatte seinen jugendlichen Sinn für Altes schon immer bezaubert, und der weiträumige Park, in dem die Hochschule liegt, sprach sein Auge für landschaftliche Schönheit an.
Seine sozialen Aktivitäten waren begrenzt, seine Zeit verbrachte er meist entweder zu Hause oder auf ausgedehnten Spaziergängen, im Unterricht und beim Exerzieren. Oft trieb ihn seine Suche nach uralten Daten für seine Ahnenforschung zum Rathaus, zum Parlamentsgebäude, zur Stadtbibliothek, zum Athenäum, zur Historischen Gesellschaft, zur John-Carter-Brown- und der John-Hay-Bibliothek an der Brown-Universität und auch zu der neu eröffneten Shepley-Bücherei in der Benefit Street. Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er damals aussah: groß, schlank und blond, mit wissbegierigen Augen und leicht gebeugter Haltung, etwas nachlässig gekleidet. So erweckte er eher den Eindruck harmloser Unbeholfenheit, als attraktiv zu wirken.
Seine Spaziergänge waren immer Abenteuer in die Vergangenheit, auf denen es ihm gelang, aus den unzähligen Relikten der glanzvollen alten Stadt ein lebhaftes und zusammenhängendes Bild der vergangenen Jahrhunderte zu gewinnen. Sein Elternhaus war ein großer georgianischer Wohnsitz auf dem Gipfel des steil abfallenden Hügels, der sich ein wenig östlich des Flusses erhebt. Aus den rückwärtigen Fenstern der weitläufigen Seitenflügel konnte er schwärmerisch über die aneinandergedrängten Turmspitzen, Kuppeln, Dächer und hochragenden Häuser der tiefer gelegenen Stadtviertel bis hin zu den violetten Hügeln der Landschaft in der Ferne blicken. Hier war er geboren, und von der lieblichen, von zwei Erkerfenstern umgebenen klassischen Terrasse mit der Ziegelfassade aus hatte sein Kindermädchen ihn erstmals im Kinderwagen ausgefahren, vorbei an dem kleinen weißen, zweihundert Jahre alten Bauernhaus, das von der Stadt längst verschluckt worden war, und weiter in Richtung der stattlichen Hochschulgebäude an der
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