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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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anzunehmen, die näher an der Decke lag als am Boden, und jede Nacht kam sie ihm etwas näher und wurde deutlicher, ehe der Traum sich veränderte. Auch Brown Jenkin rückte mit der Zeit immer dichter heran, und seine gelblich weißen Reißzähne schimmerten schrecklich in der unwirklichen violetten Phosphoreszenz. Sein schrilles, widerwärtiges Kichern blieb Gilman immer länger im Ohr, und eines Morgens konnte er sich daran erinnern, dass das Wesen die Worte »Azathoth« und »Nyarlathotep« ausgesprochen hatte.
    Ebenso wurden die tieferen Träume nun deutlicher, und Gilman gewann den Eindruck, dass die dämmrigen Abgründe um ihn herum der vierten Dimension angehörten. Die organischen Wesenheiten, deren Bewegungen am wenigsten irrelevant und unmotiviert erschienen, waren vermutlich Projektionen von Lebensformen unseres Planeten, einschließlich menschlicher Wesen. Was die anderen in ihren eigenen Dimensionssphären sein mochten, darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Zwei der sich weniger ziellos bewegenden Wesen – eine recht große Anhäufung schimmernder länglicher, kugelförmiger Blasen und ein sehr viel kleineres Polyeder von unbestimmbarer Farbe aus rasch sich ändernden Flächenwinkeln – schienen von ihm Notiz zu nehmen und ihm bei seinen Bewegungen inmitten der gewaltigen Prismen, Labyrinthe, Ansammlungen von Würfeln, Flächen und Quasi-Gebäuden zu folgen. Währenddessen wurde das undeutliche Kreischen und Brüllen immer lauter, als strebe es einem monströsen Höhepunkt völlig unerträglicher Lautstärke entgegen.
    In der Nacht vom 19. auf den 20. April erfolgte eine neue Entwicklung. Gilman bewegte sich halb unfreiwillig durch die dämmerigen Abgründe, und die Blasenmasse und das kleine Polyeder schwebten ihm voraus, als ihm die eigenartig normal wirkenden Winkel am Rande einer riesigen Prismen-Anhäufung neben ihm auffielen. Eine Sekunde später hatte er den Abgrund verlassen und stand zitternd inmitten einer felsigen Hügellandschaft, die in helles, diffuses grünes Licht getaucht war. Er war barfuß und im Schlafanzug, und als er zu gehen versuchte, merkte er, dass er kaum die Füße vom Boden heben konnte. Ein wirbelnder Dunst verdeckte alles außer dem hügeligen Gelände in seiner unmittelbaren Umgebung, und er erbebte bei dem Gedanken an die Geräusche, die aus diesem Dunst emporsteigen könnten.
    Dann sah er zwei Gestalten, die mühsam auf ihn zukrochen – die alte Frau und das kleine pelzige Wesen. Die Alte strengte sich an, um auf die Knie zu kommen und die Arme auf eigentümliche Weise vor der Brust zu kreuzen, während Brown Jenkin mit einer grässlich menschlichen Vorderpfote, die er offensichtlich mit einiger Mühe hob, in eine bestimmte Richtung wies. Gilman, von einem ihm unergründlichen Impuls angespornt, schleppte sich vorwärts, in die Richtung, die der Winkel der Arme der alten Frau und die Pfote des kleinen Ungeheuers bestimmten; kaum hatte er drei Schritte gemacht, befand er sich wieder im dämmerigen Abgrund. Geometrische Umrisse brodelten rings um ihn her, und schwindelnd stürzte er in endlose Tiefen. Schließlich erwachte er in seinem Bett in dem sonderbar verwinkelten Mansardenzimmer des unheimlichen alten Hauses.
    An diesem Morgen war er zu nichts zu gebrauchen und blieb seinen Vorlesungen an der Universität fern. Etwas Unbekanntes zog seinen Blick in eine scheinbar belanglose Richtung – er konnte nicht anders, er musste auf einen bestimmten leeren Fleck auf dem Boden starren. Als der Tag voranschritt, richteten sich seine Augen allmählich woandershin, und um die Mittagsstunde hatte er den Drang überwunden, ins Leere zu starren. Gegen zwei Uhr nachmittags ging er aus, um sein Mittagessen einzunehmen, und als er durch die engen Gassen der Stadt schlenderte, ertappte er sich immer wieder dabei, die südöstliche Richtung einzuschlagen. Nur mit einiger Mühe konnte er in einem Café in der Church Street Halt machen, und nach dem Essen verspürte er diesen unerklärlichen Drang umso stärker.
    Er würde wohl doch einen Nervenspezialisten aufsuchen müssen – vielleicht stand das Problem ja mit seinem Schlafwandeln in Zusammenhang –, aber zunächst könnte er wenigstens versuchen, den krankhaften Bann selbst zu brechen. Er bezweifelte nicht, dass er sich von diesem Drang noch zu befreien vermochte, und deshalb begehrte er mit all seiner Willenskraft dagegen auf und zwang sich, Richtung Norden über die Garrison Street zu gehen. Als er die Brücke erreichte,

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