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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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die über den Miskatonic führte, brach ihm der kalte Schweiß aus, und er klammerte sich an das Eisengeländer, während er stromaufwärts zu der verrufenen Insel sah, deren regelmäßig angeordnete uralte Menhire im Licht des Nachmittags finster vor sich hin brüteten.
    Dann zuckte er vor Schreck zusammen. Denn auf der verlassenen Insel sah er klar und deutlich eine lebendige Gestalt, und ein zweiter Blick verriet ihm, dass es sich mit Gewissheit um die merkwürdige alte Frau handelte, deren finsteres Bild sich mit so verheerenden Folgen in seine Träume geschlichen hatte. Das hohe Gras neben ihr bewegte sich, als würde ein kleineres Lebewesen am Boden herumkriechen. Als die Alte sich in seine Richtung umwandte, verließ er fluchtartig die Brücke und zog sich in die labyrinthartigen Gassen des Hafenviertels der Stadt zurück. So weit die Insel auch von ihm entfernt gewesen war, er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der sardonische Blick der gebeugten, braun gekleideten, uralten Gestalt eine ungeheuerliche und unbezwingbare Bösartigkeit übertragen konnte.
    Der Drang, sich in südöstliche Richtung zu bewegen, machte sich noch immer bemerkbar, und nur mit erheblicher Anstrengung konnte Gilman sich zurück in das alte Haus und die wackligen Stufen hinauf in sein Zimmer schleppen. Stundenlang saß er schweigend und untätig da, und sein Blick verlagerte sich allmählich nach Westen. Ungefähr um sechs Uhr abends vernahm er dank seines geschärften Gehörs die winselnden Gebete von Joe Mazurewicz zwei Etagen tiefer, und voller Verzweiflung schnappte er sich seinen Hut und lief hinaus auf die Straße, die ins goldene Licht der untergehenden Sonne getaucht war. Er ließ sich von dem Drang, der ihn nun geradewegs nach Süden zog, führen, wohin immer es auch gehen sollte. Eine Stunde später war es bereits dunkel, und er befand sich auf den offenen Feldern jenseits des Hangman’s Brook, die schimmernden Sterne des Frühlingshimmels über ihm. Der Drang zu gehen wurde nach und nach von dem Drang abgelöst, auf mystische Weise in das Universum zu schreiten, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, was ihn eigentlich anzog.
    Es befand sich am Himmel. Ein fester Punkt unter all den Sternen hielt ihn im Bann und rief nach ihm. Anscheinend lag dieser Punkt irgendwo zwischen dem Sternbild der Hydra und dem Schiff Argo, und er wusste, dass er sich bereits seit seinem Erwachen im Morgengrauen zu dem Punkt hingezogen gefühlt hatte. Am Morgen war er unter ihm gewesen, und jetzt befand es sich ungefähr südlich davon, bewegte sich aber immer weiter gen Westen. Was sollte das nun wieder bedeuten? Verlor er den Verstand? Wie lange würde es noch dauern? Erneut bot Gilman all seine Willenskraft auf und schleppte sich in das düstere alte Haus zurück.
    Mazurewicz erwartete ihn an der Tür und schien zugleich darauf zu brennen und davor zurückzuscheuen, ihn mit dem neuesten abergläubischen Tratsch zu versorgen. Es ging um das Hexenlicht. Joe war vorige Nacht ausgegangen, um zu feiern – in Massachusetts war Heldengedenktag gewesen –, und erst nach Mitternacht zurückgekehrt. Als er draußen an dem Haus hochgeblickt habe, habe er zuerst geglaubt, Gilmans Fenster sei dunkel, dann aber das schwache violette Glühen dahinter bemerkt. Nun wollte er den Herrn vor diesem Glühen warnen, denn jedermann in Arkham wisse doch, dass dies Keziahs Hexenlicht sei, das Brown Jenkin und das Gespenst der alten Vettel umgebe. Er habe das früher nicht erwähnt, müsse es aber nun sagen, weil es bedeute, dass Keziah und ihr langzahniger Gefährte den jungen Herren heimsuchten. Manchmal hätten er selbst, Paul Choynski und der Hauswirt Dombrowski den Eindruck, durch die Ritzen der verschlossenen Dachkammer über dem Zimmer des jungen Herrn dringe Licht, doch hätten sie alle entschieden, nichts darüber zu sagen. Es sei allerdings ratsam für den jungen Herrn, ein anderes Zimmer zu nehmen und sich bei einem guten Priester wie Pater Iwanicki ein Kruzifix zu besorgen.
    Der Mann plapperte immer weiter, und Gilman spürte, wie eine unsägliche Panik ihm die Kehle zuschnürte. Er wusste, Joe war gewiss mehr oder weniger betrunken gewesen, als er letzte Nacht nach Hause gekommen war; dennoch machte die Erwähnung des violetten Lichtes in seinem Mansardenzimmer einen fürchterlichen Eindruck auf ihn. In seinen leichteren Träumen, die seinem Sturz in unbekannte Abgründe vorangegangen waren, hatte ein derartiges flackerndes Glühen stets die alte

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