Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Anweisung in das Zimmer im ersten Stock gebracht hatte, und zum ersten Mal seit Wochen störte kein aufwühlender Traum seinen Schlaf. Das Fieber klang indes auch jetzt nicht ab, und das Winseln des Webers machte seinen Nerven nach wie vor zu schaffen.
Im Laufe der nächsten Tage zeigte sich Gilman fast gänzlich immun gegenüber morbiden Manifestationen. Er hatte laut Elwood keinerlei Anstalten gemacht, im Schlaf aufzustehen oder zu sprechen, und der Hauswirt hatte überall Rattengift verteilt. Das Einzige, was ihn noch verstörte, war das Gerede der abergläubischen Ausländer, deren Einbildung sie in höchste Aufregung versetzte. Mazurewicz versuchte ständig, ihn zu überreden, sich ein Kruzifix zu besorgen; schließlich zwang er Gilman sogar eines auf, das, so sagte er, vom guten Pater Iwanicki geweiht worden sei. Auch Desrochers hatte zu der ganzen Sache etwas zu sagen: Er behauptete steif und fest, in dem nun leeren Raum über ihm in den ersten beiden Nächten, nachdem Gilman dort ausgezogen war, sachte Schritte gehört zu haben. Paul Choynski wollte nachts Geräusche in den Gängen und auf der Treppe vernommen haben, und einmal habe jemand versucht, vorsichtig seine Tür zu öffnen. Mrs. Dombrowski hingegen schwor, sie hätte zum ersten Mal seit Allerheiligen Brown Jenkin gesehen. Doch solchen naiven Bekundungen durfte man wenig Bedeutung beimessen, und Gilman ließ das billige Metallkruzifix unbeachtet an einem Knauf an der Kommode seines Gastgebers hängen.
Drei Tage lang suchten Gilman und Elwood die städtischen Museen auf, um die seltsame stachelige Figur identifizieren zu lassen, aber ohne Erfolg. Das Interesse war jedoch überall groß; die absolute Fremdartigkeit des Dings stellte eine gewaltige Herausforderung für die Neugier der Wissenschaftler dar. Man brach einen der abstehenden Arme ab, um ihn einer chemischen Analyse zu unterziehen. Professor Ellery entdeckte in der merkwürdigen Legierung Platin, Eisen und Tellur; dazu kamen allerdings noch mindestens drei weitere Elemente von hohem Atomgewicht, die mit keiner chemischen Methode zu bestimmen waren. Nicht nur, dass sie mit keinem bekannten Element korrespondierten – sie passten nicht einmal in die Freistellen, die man im Periodensystem für mögliche weitere Elemente reserviert hatte. Bis zum heutigen Tag ist das Rätsel nicht gelöst worden; die Figur selbst ist im Museum der Miskatonic-Universität zu sehen.
Am Morgen des 27. April entdeckte man ein neues Rattenloch in dem Zimmer, wo Gilman zu Gast war, aber Dombrowski verschloss es am selben Tag mit einer Blechscheibe. Das Gift hatte sich als nicht sehr erfolgreich erwiesen, denn das Kratzen und Scharren in den Wänden ging praktisch unvermindert weiter.
Elwood blieb in dieser Nacht lange aus, und Gilman wartete auf ihn. Er wollte sich nicht allein schlafen legen – vor allem deshalb, weil er im Dämmerlicht des Abends die widerliche Alte zu sehen geglaubt hatte, deren Bild so grauenhaft in seinen Träumen aufgetaucht war. Er fragte sich, wer sie wohl war und was neben ihr zwischen den Blechbüchsen eines Abfallhaufens in einem schäbigen Innenhof geklappert hatte. Die alte Vettel schien ihn bemerkt und ihm einen boshaften Blick zugeworfen zu haben – aber vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet.
Am nächsten Tag fühlten sich die beiden jungen Männer sehr erschöpft und wussten, dass sie in der Nacht tief und fest schlafen würden. Am Abend hatten sie müde über die mathematischen Studien diskutiert, die – mit vielleicht schädlicher Auswirkung – von Gilman völligen Besitz ergriffen hatten, und hatten über die Verbindungen dieser Studien zu alter Magie und Volksbrauchtum spekuliert, die auf so unheimliche Weise plausibel erschienen. Sie sprachen über die alte Keziah Mason, und Elwood vertrat die Ansicht, Gilman habe gute wissenschaftliche Gründe zu der Annahme, dass sie über sonderbare und bedeutungsvolle Informationen gestolpert sei. Die verborgenen Kulte, denen diese Hexen oft angehört hatten, hätten überraschende Geheimnisse aus alter, vergessener Zeit gehütet und weitergegeben; daher sei es keineswegs ausgeschlossen, dass Keziah tatsächlich die Kunst gemeistert habe, die Tore zwischen den Dimensionen zu durchschreiten. Die Überlieferung spreche immer von der Nutzlosigkeit materieller Barrieren, wenn es darum ging, eine Hexe festzuhalten – und wer könne schon sagen, was sich wirklich hinter den alten Geschichten von nächtlichen Besenritten
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