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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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dreieckigen Abgrundes. Eine Sekunde später hatten sich die Verhältnisse jedoch wieder umgekehrt: Nun schlossen sich diese mörderischen Klauen fest um seine Kehle und ihr runzliges Gesicht war von irrem Zorn verzerrt. Er spürte, wie die Kette des billigen Kruzifixes in seinen Nacken schnitt, und angesichts seiner Lage fragte er sich, wie dieser Gegenstand wohl auf die bösartige Kreatur wirken mochte. Sie verfügte über übermenschliche Kräfte, doch noch während sie ihn würgte, griff er schwach in sein Hemd und zerrte das metallene Symbol hervor. Dabei zerriss er die Kette und zog sie ganz heraus.
    Der Anblick dieses Gegenstandes schien die Hexe in Panik zu versetzen, und sie lockerte ihren Griff lange genug, dass Gilman sich ganz daraus lösen konnte. Er riss sich aus der stählernen Gewalt der Klauen und hätte die Alte in den Abgrund gestürzt, hätten sich diese Klauen nicht mit neuerlicher Kraft um seine Kehle geschlossen. Diesmal entschied er, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und griff nach dem Hals der Kreatur. Noch ehe sie sich versah, hatte er ihr die Kette mit dem Kruzifix um die Gurgel gewickelt, und eine Sekunde später zog er so fest zu, dass ihr der Atem ausblieb. Als sie im Todeskampf zuckte, spürte er, dass etwas ihn ins Fußgelenk biss, und er sah, dass Brown Jenkin seiner Herrin zu Hilfe geeilt war. Mit einem heftigen Tritt schickte er das kleine Ungeheuer über den Rand des Lochs und hörte, wie es irgendwo weit unten winselnd aufschlug.
    Ob er die alte Vettel getötet hatte, wusste er nicht; er ließ sie einfach auf dem Boden liegen, wo sie hingefallen war. Als er sich dann von ihr abwandte, bot sich ihm auf dem Tisch ein Anblick, der den seidenen Faden, an dem seine geistige Gesundheit hing, zu zerreißen drohte. Brown Jenkin, zäh und flink und mit vier winzigen Klauen von dämonischer Geschicklichkeit bewehrt, hatte sich nützlich gemacht, während die Hexe ihn gewürgt hatte – Gilmans Mühen waren umsonst gewesen. Er hatte die Brust des kleinen Opfers vor dem Messer bewahren können, nicht aber das Handgelenk des Kindes vor den gelben Reißzähnen der pelzigen Scheußlichkeit – die Schüssel, die vorhin noch auf dem Boden gelegen hatte, stand gefüllt neben dem leblosen kleinen Körper.
    In seinem Fiebertraum hatte Gilman die fremdartigen Rhythmen des Sabbatgesangs wie aus unendlicher Ferne gehört, und er wusste, dass der schwarze Mann dort sein musste. Wirre Erinnerungen vermischten sich mit seinen mathematischen Studien, und er glaubte, in seinem Unterbewusstsein die Winkel finden zu können, mit denen er zum ersten Mal allein und ohne Hilfe von außen in die normale Welt zurückkehren könnte. Er war überzeugt, sich in der seit undenklichen Zeiten versiegelten Kammer über seinem eigenen Zimmer zu befinden, aber dass er durch den schrägen Boden oder den seit Langem verbarrikadierten Ausgang würde entfliehen können, bezweifelte er stark. Außerdem: Würde ihn die Flucht aus einer geträumten Dachkammer nicht bloß in ein geträumtes Haus führen – eine abnorme Projektion des tatsächlichen Ortes, den er suchte? Die Beziehung zwischen Traum und Wirklichkeit in all seinen Erlebnissen gab ihm unlösbare Rätsel auf.
    Die Reise durch die schemenhaften Abgründe würde sich schrecklich gestalten, da der Walpurgisrhythmus dort vibrierte; er würde dann endlich das bislang verhüllte kosmische Pulsieren hören, vor dem er eine Todesangst empfand. Selbst jetzt konnte er ein leises, aber monströses Beben wahrnehmen, dessen Tempo er nur zu gut kannte. Zur Zeit des Sabbats stieg es immer an und reichte durch die Welten, um die Eingeweihten zu unbeschreiblichen Riten zu rufen. Die Hälfte aller Sabbatgesänge baute auf diesem leicht zu überhörenden Pulsieren auf, dessen unverminderte, alle Räume durchdringende Fülle kein irdisches Ohr würde ertragen können. Auch Gilman fragte sich, ob er seinem Instinkt trauen durfte, ihn in den richtigen Teil des Weltalls zurückzugeleiten. Woher sollte er wissen, ob er nicht in der grünen Hügellandschaft eines entlegenen Planeten landen würde, auf der mosaikgeschmückten Terrasse über der Stadt der Tentakelmonster irgendwo jenseits der Galaxis oder in den schwarzen Wirbeln des ultimativen Chaos, wo der geistlose Dämonensultan Azathoth herrscht?
    Kurz bevor er den Sprung wagte, erlosch das violette Licht und ließ ihn in schwarzer Finsternis zurück. Die Hexe – die alte Keziah – Nahab – das musste das Zeichen ihres Todes gewesen

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