Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Visionen mir nur spärliche Informationen, und viele der hier und da eingestreuten Angaben, die ich festhalte, stammen eher aus meinem Studium alter Legenden und anderer Fälle wie dem meinen als aus meinen eigenen Träumen.
Natürlich holten meine Lektüre und meine Nachforschungen irgendwann die Träume in vielen Phasen ein, übertrafen sie sogar, sodass einzelne Traumfragmente bereits im Voraus erklärt wurden und das Erlernte bestätigten. Dies verhalf mir zu der tröstlichen Ansicht, ähnliche Lektüre und Recherchen meines sekundären Ichs hätten dem gesamten fürchterlichen Stoff meiner Pseudo-Erinnerungen die Grundlage geliefert.
Allem Anschein nach waren meine Träume in einer knapp 150.000.000 Jahre alten Erdepoche angesiedelt, als das Paläozoikum gerade durch das Mesozoikum abgelöst wurde. Die Körper der Großen Rasse entsprachen keiner überlebenden oder wissenschaftlich belegten Linie der terrestrischen Evolution, sondern gehörten einem eigentümlichen, überaus homogenen und hoch spezialisierten organischen Typus an, der ebenso sehr dem pflanzlichen wie dem animalischen Leben nahe stand.
Mein Zellstoffwechsel war einzigartig und beugte der Erschöpfung so weitgehend vor, dass kein Bedürfnis nach Schlaf entstand. Die Nahrung, die über die roten trompetenförmigen Anhänge an einem der großen dehnbaren Glieder aufgenommen wurde, war beinahe flüssig und der Nahrung existierender Tiere denkbar unähnlich.
Die Wesen verfügten über bloß zwei der uns bekannten Sinne – Sehen und Hören, wobei Letzteres mit den blumenähnlichen Auswüchsen an den grauen Stängeln über ihren Köpfen bewerkstelligt wurde. Sie verfügten indes über viele andere, uns unbegreifliche Sinne – diese konnten jedoch von den in ihren Leibern gefangenen fremden Geistern schwerlich angewandt werden. Ihre drei Augen waren so angebracht, dass sie über ein weiteres Gesichtsfeld als normalerweise üblich verfügten. Ihr Blut war dunkelgrün und überaus dickflüssig.
Sie waren geschlechtslos und vermehrten sich durch Samen oder Sporen an ihren Bodenseiten, die sich nur unter Wasser entwickeln konnten. Große seichte Becken wurden für das Züchten ihrer Jungen verwandt, die aber angesichts der Langlebigkeit dieser Wesen – die übliche Lebensspanne betrug vier- bis fünftausend Jahre – nur in geringer Anzahl gezeugt wurden.
Schwer missgebildete Individuen wurden rasch beseitigt, sobald ihre Defekte hervortraten. Krankheiten und bevorstehender Tod wurden wegen des fehlenden Tastsinns oder körperlichem Schmerzempfinden allein aufgrund visueller Symptome erkannt.
Die Toten verbrannte man im Rahmen würdevoller Zeremonien. Wie bereits erwähnt, entging hin und wieder ein kluger Geist dem Tod durch eine Vorwärtsprojektion in der Zeit, doch kam dies nicht sehr häufig vor. Wenn es vorkam, dann wurde der aus der Zukunft verbannte Geist mit größter Freundlichkeit behandelt, bis seine ihm unvertraute Behausung sich auflöste.
Die Große Rasse schien einen eng zusammenhängenden Staat oder Verbund zu formen, dessen wichtigste Institutionen zentralisiert waren, obwohl er aus vier seperaten Teilen bestand. Das Polit- und Wirtschaftssystem jeder Einheit beruhte auf einer Art von faschistischem Sozialismus, die wichtigen Ressourcen wurden gleichmäßig verteilt, und die Macht lag bei einer kleinen Regierungskommission, die von all jenen gewählt wurde, die gewisse bildungsbezogene und psychologische Tests bestanden hatten. Die Familie wurde nicht übermäßig betont, obgleich man Bindungen zwischen Personen gemeinsamer Abstammung anerkannte und die Jungen im Allgemeinen von ihren Eltern erzogen wurden.
Die Ähnlichkeiten mit menschlichen Einstellungen und Einrichtungen waren natürlich dort am größten, wo es entweder um höchst abstrakte Elemente ging oder aber eine Dominanz der grundlegenden, unspezialisierten Triebe herrschte, die allem organischen Leben gemeinsam sind. Weitere Gemeinsamkeiten kamen gelegentlich durch eine bewusste Adaption zustande, wenn die Große Rasse die Zukunft erforschte und Dinge kopierte, die ihr gefielen.
Die hoch mechanisierte Industrie verlangte jedem Bürger nur sehr wenig Zeit ab; die großzügig bemessene Freizeit wurde mit intellektuellen und ästhetischen Beschäftigungen verschiedenster Art ausgefüllt.
Die Wissenschaften waren zu einer unglaublichen Entwicklungsstufe gelangt, und die Kunst bildete einen essenziellen Bestandteil des Lebens, wenngleich sie zu dem Zeitpunkt meiner
Weitere Kostenlose Bücher