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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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hinabführen musste. Doch ich schrie nicht, murmelte nur wieder und wieder vor mich hin, dass dies alles ein Traum sei, aus dem ich bald erwachen müsse. Vielleicht befand ich mich im Lager – vielleicht auch zu Hause in Arkham. Während diese Hoffnungen meinen gesunden Menschenverstand ein wenig abschirmten, begann ich mit dem Ersteigen der Schrägebene in die höhere Etage.
    Ich wusste natürlich, dass ich noch den über einen Meter breiten Spalt zu überwinden hatte, doch war ich zu sehr von anderen Ängsten geplagt, sodass ich das volle Ausmaß des Grauens erst erkannte, als ich fast dort war. Bei meinem Abstieg war der Sprung über die Kluft einfach gewesen – aber würde er mir auch jetzt noch so leicht fallen, wo es aufwärts ging und ich belastet war von Furcht, Erschöpfung, dem Gewicht der Metallkassette und dem abnormalen Zerren des dämonischen Windes? Im letzten Moment dachte ich an diese Dinge – und auch an die namenlosen Wesenheiten, die in den schwarzen Abgründen unter dem Spalt lauern mochten.
    Meine flackernde Taschenlampe wurde immer schwächer, aber irgendeine obskure Erinnerung sagte mir, wann ich mich der Kluft näherte. Die eisigen Windböen und die widerwärtigen Pfeiflaute hinter mir erschienen mir im Moment wie ein barmherziges Betäubungsmittel, das meine Vorstellungskraft für das Grauen des klaffenden Spalts vor mir trübte. Und dann bemerkte ich die zusätzlichen Windstöße und Pfeifgeräusche vor mir – scheußliche Wellen, die aus dem Bodenriss selbst aufbrandeten, aus unbekannten und unvorstellbaren Tiefen.
    Jetzt ergriff mich in der Tat die Essenz des reinen Albtraums. Der Verstand verabschiedete sich – ich vergaß alles außer dem tierischen Fluchtinstinkt und sprang und rannte über den Schutt der Neigung, als gäbe es gar keine Kluft. Dann sah ich den Rand des Spalts, nahm mit meiner ganzen verbleibenden Kraft Anlauf und sprang panisch, und sogleich war ich in einen pandämonischen Wirbel aus widerlichen Klängen und äußerster stofflich fassbarer Schwärze gehüllt.
    Das ist, was meine Erinnerungen angeht, das Ende meines Erlebnisses. Alle weiteren Eindrücke gehören gänzlich dem Reich der Phantasmagorie und der Fieberträume an. Traum, Wahnsinn und Erinnerung vermengten sich hemmungslos in einer Reihe fantastischer bruchstückhafter Halluzinationen, die zu nichts Wirklichem in irgendeiner Beziehung stehen können.
    Es folgte ein entsetzlicher Sturz durch unzählige Meilen zähflüssiger, belebter Finsternis und ein babylonisches Wirrwarr von Geräuschen, die allem, was wir von der Erde und dem organischen Leben darauf wissen, völlig fremd waren. Schlummernde, rudimentär vorhandene Sinne schienen in mir zu erwachen, erzählten mir von Gruben und Schluchten, die von schwebenden Schrecknissen bevölkert waren, von sonnenlosen Felsklippen und Meeren und von Städten voll wimmelnden Lebens mit Basalttürmen ohne Fenster, die kein Lichtstrahl je berührte.
    Geheimnisse des urzeitlichen Planeten und seiner unermesslichen Äonen zuckten blitzartig durch mein Hirn, ohne dass ich etwas gesehen oder gehört hätte, und Dinge wurden mir offenbart, die nicht einmal in den wildesten meiner früheren Träume auch nur angedeutet worden waren. Und die ganze Zeit über griffen und zerrten kalte Finger feuchten Dunstes an mir, und das grässliche, gotteslästerliche Pfeifen gellte dämonisch über das Wechselspiel von babylonischem Chaos und Stille in den Wirbeln der Finsternis hinweg.
    Danach folgten Visionen der zyklopischen Stadt aus meinen Träumen – nicht in Form von Ruinen, sondern so, wie ich sie in den Träumen gesehen hatte. Ich befand mich wieder in meinem kegelförmigen nicht menschlichen Leib und mischte mich unter die Scharen der Großen Rasse und der gefangenen Geister, die in den hohen Korridoren und auf den gewaltigen Schrägebenen Bücher hin und her trugen.
    Über diese Bilder legten sich dann furchtbare Momentaufnahmen eines nicht visuellen Bewusstseins: verzweifelte Kämpfe, ein Sich-Entwinden aus den klammernden Tentakeln des pfeifenden Windes, ein irrer fledermausartiger Flug durch halb feste Luft, ein fieberhaftes Graben durch die von Zyklonen gepeitschte Finsternis und ein wildes Stolpern und Klettern über eingestürztes Mauerwerk.
    Auf einmal war da ein merkwürdiges halb sichtbares Aufblitzen – die schwache, diffuse Andeutung eines blauen Leuchtens hoch über mir. Dann folgte ein Traum, in dem ich, vom Wind verfolgt, kletterte und kroch, mich durch

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