Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
bemerkenswert guten, beinahe vollkommenen Zustand, und in dieser Abteilung waren nur drei der Türen aufgesprungen.
Die Gefühle, die ich diesen Regalen entgegenbrachte, können nicht beschrieben werden – so umfassend und beharrlich war die Empfindung, von alters her mit ihnen vertraut zu sein. Ich blickte zu einer Regalreihe am oberen Ende empor, fernab meiner Reichweite, und fragte mich, wie ich wohl hinaufklettern könnte. Eine offene Tür vor den vier untersten Fächern, würde mir dabei vielleicht von Nutzen sein, und die Riegel der verschlossenen Türen konnten als Halt für Hände und Füße dienen. Ich würde die Taschenlampe im Mund tragen, wie schon zuvor, wenn ich beide Hände benötigt hatte. Und vor allem anderen durfte ich keinen Laut dabei erzeugen.
Das, was ich zu entnehmen wünschte, mit nach unten zu bringen, würde schwierig sein, aber vielleicht konnte ich den beweglichen Verschluss an meinem Mantelkragen befestigen und es wie einen Rucksack tragen. Erneut stellte ich mir die Frage, ob der Riegel unbeschädigt war. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich jede der mir vertrauten Bewegungen würde wiederholen können. Ich hoffte jedoch, dass das Ding nicht quietschen oder kratzen würde – und dass meine Hand es angemessen würde bedienen können.
Noch hatte ich diesen Gedanken nicht zu Ende gedacht, da hielt ich die Taschenlampe schon zwischen den Zähnen und machte mich an den Aufstieg. Die hervorstehenden Riegel gaben armselige Sprossen ab, aber das offene Regal war mir, wie ich es erwartet hatte, eine große Hilfe. Ich benutzte sowohl die aufschwingende Tür als auch den Rand der Öffnung beim Hinaufsteigen, und es gelang mir, laute Geräusche dabei zu vermeiden.
Wenn ich auf dem oberen Rand der Tür balancierte und mich weit nach rechts neigte, konnte ich den gesuchten Riegel gerade eben erreichen. Meine vom Klettern halb tauben Finger stellten sich erst sehr ungeschickt an; bald aber merkte ich, dass ihre Anatomie der Aufgabe gewachsen war. Und der Rhythmus der Erinnerung pulsierte sehr kraftvoll in ihnen.
Aus unergründlichen Tiefen der Zeit hatten die komplizierten, geheimen Bewegungen auf irgendeine Weise bis ins kleinste Detail korrekt mein Gehirn erreicht – denn nach weniger als fünf Minuten ertönte ein Klicken, dessen Vertrautheit mich umso mehr erschreckte, als ich es nicht bewusst erwartet hatte. Ein Augenblick später, und die Metalltür öffnete sich langsam mit einem überaus leisen Knirschen.
Benommen überblickte ich die Reihe grauer Kassetten, die sich mir nun darboten, und verspürte ein gänzlich unerklärliches Gefühl mit enormer Macht in mir aufsteigen. Gerade eben in Reichweite meiner rechten Hand befand sich eine Kassette, deren gekrümmte Hieroglyphen mir einen Stich versetzten, mich heftiger zittern ließen und mich auf tief greifendere Weise aufwühlten als bloße Angst. Mit bebender Hand gelang es mir, die Kassette hervorzuziehen und in einer Wolke von Staubflocken so gut wie lautlos in meine Richtung zu schieben.
Wie die andere Kassette, die ich untersucht hatte, maß auch diese knapp fünfzig mal vierzig Zentimeter und war mit gewundenen mathematischen Mustern in Flachrelief verziert. Sie war ungefähr acht Zentimeter dick.
Unbeholfen zwängte ich sie zwischen mich und die Regalfläche, auf der ich stand, machte mich am Riegel zu schaffen und konnte endlich den Haken lösen. Ich hob den Deckel an, schob den schweren Gegenstand hinter meinen Rücken und befestigte den Haken an meinem Mantelkragen. Mit freien Händen kletterte ich nun umständlich zurück auf den staubigen Boden und bereitete mich darauf vor, meine Beute zu inspizieren.
Ich kniete in den Staubflocken, nahm die Kassette von meinem Rücken und legte sie vor mir ab. Meine Hände zitterten, ich hatte ebenso Angst davor wie ein – zwanghaftes – Verlangen danach, das Buch aus der Kassette herauszunehmen. Nach und nach war mir klar geworden, was ich darin finden würde, und diese Erkenntnis raubte mir beinahe alle Sinne.
Wenn es so wäre, wie ich glaubte – falls ich nicht träumte –, dann würden die daraus entstehenden Schlussfolgerungen menschliches Fassungsvermögen übersteigen. Am meisten quälte mich, dass es mir momentan unmöglich war, meine Umgebung als Traum wahrzunehmen. Das Gefühl der Wirklichkeit war entsetzlich – und ist es auch jetzt wieder, da ich mich an die Szene erinnere.
Endlich zog ich das Buch zitternd aus seinem Behältnis und starrte gebannt
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