Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
nur dunkle, nackte Felsabstürze und die ersten Ausläufer grob gefurchter Gletscher – doch jene faszinierenden Würfel und Wälle, jene widerhallenden Höhlenöffnungen verliehen der Szenerie etwas drohend Unnatürliches, Fantastisches und Traumgleiches. Als ich an dem endlosen Kamm aus hohen Bergzacken entlangschaute, glaubte ich, den vom armen Lake erwähnten einzigen Gipfel zu erkennen, den mitten auf der Spitze eine Mauer krönte. Ein sonderbarer antarktischer Dunstschleier verbarg sie zum größten Teil – ein Dunst, der Lake vielleicht zu seiner anfänglichen Vermutung vulkanischer Tätigkeit verleitet hatte. Der Pass öffnete sich direkt vor uns, glatt und windgepeitscht zwischen seinen beiden zackengekrönten, finster aufragenden Durchgangspfeilern aus Fels. Dahinter dehnte sich ein Himmel, brodelnd vor wirbelndem Dunstgebräu und erleuchtet von einer tiefstehenden Polarsonne – der Himmel jenes geheimnisvollen, fernen Reiches, von dem wir spürten, dass noch kein menschliches Auge es je zuvor erschaut hatte.
Nur noch ein paar Meter höher und wir würden dieses Reich sehen. Danforth und ich konnten uns inmitten des heulenden, pfeifenden Sturms, der über den Pass fegte, und wegen des ungedämpften Lärms der Motoren, nur schreiend verständigen, doch wir tauschten vieldeutige Blicke aus. Und dann, als wir diese letzten wenigen Meter überwunden hatten, starrten wir endlich über die Felseinkerbung hinweg auf die Offenbarung ungeahnter Geheimnisse einer vorzeitlichen und unfassbar fremdartigen Welt.
V
Ich glaube, wir schrien beide gleichzeitig auf, als wir den Pass durchflogen hatten und sahen, was dahinter lag. Überwältigt von Ehrfurcht, Staunen und Grauen zweifelten wir an unseren Sinnen. Natürlich mussten wir tief in unserem Unterbewusstsein nach irgendeiner natürlichen Erklärung gesucht haben, um im ersten Moment bei klarem Verstand zu bleiben. Vermutlich dachten wir an solche Dinge wie die grotesk verwitterten Steine im Garten der Götter in Colorado oder die fantastisch symmetrischen, vom Wind zernagten Felsen in der Wüste von Arizona. Vielleicht vermeinten wir zuerst sogar, erneut eine Fata Morgana gleich jener zu sehen, die sich uns zuvor bei der ersten Sichtung der Berge des Wahnsinns dargeboten hatte. Wir mussten uns einfach an derartige normale Erklärungen klammern, als unsere Blicke über die grenzenlose, sturmzerfurchte Hochebene schweiften und das beinah endlose Labyrinth riesiger, regelmäßiger und in geometrischer Harmonie gefügter Steinmassen erfassten, deren bröckelnde und ausgehöhlte Spitzen aus einer Eisdecke emporragten, deren Dicke nur zwölf oder fünfzehn Meter und an manchen Stellen sogar noch sichtlich weniger betrug.
Die Wirkung dieses ungeheuerlichen Anblicks war unbeschreiblich, denn schon beim ersten Hinsehen trat die teuflische Verletzung der bekannten Naturgesetze offen zutage. Hier, auf einem uralten Tafelland in nicht weniger als sechstausend Metern Höhe und unter Klimabedingungen, die seit einem vormenschlichen, mindestens fünfhunderttausend Jahre zurückliegenden Zeitalter für alles Leben tödlich waren, erstreckte sich soweit das Auge sah ein Gewirr regelmäßig angeordneter Steine – nur die Hoffnung, bei Verstand zu bleiben, führte dies nicht auf irgendetwas anderes als geplante und künstliche Urheberschaft zurück. Bis zu diesem Augenblick hatten wir, jedenfalls bei allen ernstlichen Erklärungsversuchen, jede Theorie verworfen, die die Würfelgebilde und Felswälle an den Bergflanken auf einen nicht-natürlichen Ursprung zurückführten. Wie sollte es auch anders sein, da doch der Mensch selbst kaum das Stadium der großen Affen hinter sich gelassen haben konnte, als diese Region der bis in unsere Zeit andauernden ewigen Herrschaft eisigen Todes anheimfiel?
Doch jetzt war die Macht der Vernunft unwiderruflich erschüttert, denn dieser zyklopische Irrgarten quadratischer, gewölbter und abgewinkelter Felsblöcke besaß Merkmale, die jede tröstliche Selbsttäuschung ausschlossen. Vor uns erhob sich zweifellos jene blasphemische Stadt aus der Luftspiegelung, die zur nackten und unbestreitbaren Wirklichkeit geworden war. Also hatte jenes verdammte Omen doch eine reale Grundlage gehabt – eine glatte Schicht aus Eisstaub hatte die oberen Luftschichten durchzogen und das Spiegelbild dieser Steinreste war gemäß den einfachen Gesetzen der Lichtbrechung über die Berge hinwegprojiziert worden. Natürlich war das Phänomen verzerrt und übertrieben
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