Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
oftmals gesehen und gehört, er sei Teil eines geheimen Schatzes, der entweder von Piraten oder von Dämonen herrühre. Die Geistlichen – oder Priester, oder wie auch immer man sie nun nenne – würden diesen Schmuck ebenfalls als Kopfputz tragen; aber die bekomme man nur selten zu Gesicht. Andere Exemplare hatte der Jüngling nicht gesehen, obgleich den Gerüchten nach viele in Innsmouth existieren sollten.
Die Marshs würden wie die drei anderen vornehmen Familien der Stadt – die Waites, die Gilmans und die Eliots – äußerst zurückgezogen leben. Sie bewohnten gewaltige Häuser in der Washington Street, und in einigen davon, so hieß es, versteckten sich gewisse lebende Verwandte, deren Aussehen ein öffentliches Auftreten unmöglich mache und die man für verstorben erklärt habe.
Nachdem er mich gewarnt hatte, dass viele der Straßenschilder entfernt worden seien, zeichnete der Jüngling für mich eine grobe, aber umfassende und sorgfältige Karte von den herausragenden Punkten der Stadt. Nachdem ich sie einen Moment betrachtet hatte, war ich überzeugt, dass sie mir von großer Hilfe sein würde, und steckte sie mit überschwänglichem Dank ein. Da mir die Schmuddeligkeit des einzigen Restaurants, das ich gesehen hatte, nicht zusagte, kaufte ich einen reichlichen Vorrat an Käsecrackern und Ingwerwaffeln, die mir später als Mittagessen dienen sollten. Ich nahm mir als Programm vor, die Hauptstraßen entlangzugehen, mit jedem Nicht-Einheimischen zu sprechen, der mir begegnen würde, und um acht Uhr mit dem Bus zurück nach Arkham zu fahren. Die Stadt stellte, wie ich sehen konnte, ein besonders drastisches Beispiel für den Verfall einer Gemeinde dar; doch da ich kein Soziologe war, wollte ich meine ernsthaften Untersuchungen auf das Gebiet der Archäologie beschränken.
So begann ich meinen systematischen, wenngleich von Unbehagen begleiteten Rundgang durch Innsmouths enge schattendunkle Gassen. Als ich die Brücke überquerte und mich in Richtung des rauschenden unteren Wasserfalles wandte, passierte ich die Marsh-Raffinerie, aus der sonderbarerweise kein Fabriklärm zu hören war. Dieses Gebäude erhob sich auf dem steilen Flussufer nahe einer Brücke und einem offenen Platz, zu dem mehrere Straßen führten und den ich für den historischen Stadtkern hielt, der nach der Revolution durch den heutigen Town Square ersetzt worden war.
Als ich das Flusstal auf der Main-Street-Brücke erneut überquerte, gelangte ich in eine Gegend äußerster Verlassenheit, die mich irgendwie erschaudern ließ. Zusammenfallende Haufen von Walmdächern bildeten eine gezackte und unwirkliche Silhouette, über der sich der gespenstische enthauptete Turm einer uralten Kirche erhob. Manche Häuser in der Main Street wurden noch bewohnt, doch die meisten waren dicht mit Brettern verschlagen. In den ungepflasterten Seitenstraßen sah ich die schwarzen, gähnenden Fenster verlassener Gebäude, von denen viele sich in gefährlichen und unglaublichen Winkeln neigten, weil ein Teil der Grundmauern abgesunken war. Ihre Fenster starrten so geisterhaft, dass man Mut aufbringen musste, um sich gen Osten zum Meer zu wenden. Das Grauen eines verlassenen Hauses steigert sich gewiss mehr in geometrischen als arithmetischen Maßen, wenn die Zahl der Häuser immer größer wird und eine Stadt völliger Einsamkeit bildet. Der Anblick solch endloser Straßen fischäugiger toter Leere und der Gedanke an jene miteinander verknüpften Unendlichkeiten schwarzer, dumpfer Behausungen, die den Spinnweben und Erinnerungen und dem Sieger Wurm überlassen wurden, erwecken tief begrabene Ängste und Abneigungen, die nicht einmal die tapferste Philosophie zu zerstreuen mag.
Die Fish Street war ebenso verlassen wie die Main Street, obgleich hier im Unterschied zu jener noch viele Warenhäuser aus Stein und Ziegel in ausgezeichnetem Zustand vorhanden waren. Die Water Street bot fast ein getreues Abbild davon, nur dass es dort große zur See gelegene Lücken gab, wo früher Kais gewesen waren. Kein einziges Lebewesen ließ sich sehen, außer den einsamen Fischern weit draußen auf dem Wellenbrecher, und kein Geräusch war zu hören, außer dem Plätschern der Wellen im Hafen und dem Rauschen der Wasserfälle des Manuxet. Die Stadt belastete immer mehr meine Nerven, und ich sah mich verstohlen um, während ich mir meinen Weg zurück über die baufällige Water-Street-Brücke suchte. Die Brücke in der Fish Street lag laut Stadtplan in
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