Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
anhand der Karte, die der Junge im Lebensmittelladen für mich gezeichnet hatte, und wählte als Ziel die gänzlich verlassene Gegend an der südlichen Küste, die ich zuvor schon besucht hatte. Die einzigen Menschen, die ich dort gesehen hatte, waren die Fischer auf dem fernen Wellenbrecher gewesen; und indem ich einige Meter weiter südlich ging, konnte ich aus deren Sichtweite entkommen, eine Sitzgelegenheit auf einem verlassenen Kai finden und in aller Freiheit und unbeobachtet den alten Zadok über einen unbegrenzten Zeitraum hinweg ausfragen.
Ehe ich die Main Street erreicht hatte, hörte ich hinter mir ein schwaches und keuchendes »He, Mister!«.
Ich blieb stehen, damit er mich einholen konnte, und alsbald gestattete ich dem alten Mann, einen ausgiebigen Schluck aus der Whiskeyflasche zu nehmen.
Ich streckte meine Fühler langsam aus, als wir gemeinsam Richtung Water Street gingen und uns inmitten der allgegenwärtigen Verlassenheit und den in irrer Schräglage stehenden Ruinen nach Süden wandten, doch fand ich heraus, dass die Zunge des Alten sich nicht so rasch lockerte, wie ich es erwartet hatte. Endlich sah ich eine von Gras überwachsene, zum Meer gelegene offene Fläche zwischen zerbröckelnden Ziegelmauern, hinter der die unkrautüberwucherte Länge eines Kais aus Erde und Mauerwerk aufragte. Moosbedeckte Steinhaufen in Wassernähe versprachen erträgliche Sitzmöglichkeiten, und der Ort wurde durch eine Lagerhausruine im Norden vor möglichen Blicken geschützt. Hier, so glaubte ich, war der ideale Platz für ein langes geheimes Zwiegespräch; und so führte ich meinen Begleiter den Pfad hinab und wählte eine Stelle zwischen den moosigen Steinen aus, wo wir sitzen konnten. Die Aura von Tod und Verlassenheit war gespenstisch und der Fischgeruch beinahe unerträglich; doch war ich entschlossen, mich von nichts abschrecken zu lassen.
Ungefähr vier Stunden blieben mir noch für ein Gespräch, wollte ich den Acht-Uhr-Bus nach Arkham erwischen, und ich fing an, dem uralten Säufer noch mehr Whiskey zu geben, derweil ich mein eigenes kärgliches Mittagessen einnahm. Bei meinen Spenden achtete ich darauf, es nicht zu übertreiben, denn ich wünschte nicht, dass Zadoks schnapsselige Geschwätzigkeit in Stumpfheit absank. Nach einer Stunde schien seine Verschwiegenheit allmählich nachzulassen, doch zu meiner großen Enttäuschung umging er noch immer meine Fragen über Innsmouth und dessen von Schatten heimgesuchte Vergangenheit. Er plapperte über aktuelle Themen, offenbar las er eifrig Zeitungen, und zeigte einen ausgeprägten Hang zum Philosophieren in salbungsvoller, naiver Weise.
Gegen Ende der zweiten Stunde hegte ich die Befürchtung, dass der Liter Whiskey nicht ausreichen würde, um ein Ergebnis zu zeitigen, und ich fragte mich, ob ich den alten Zadok nicht besser verlassen und Nachschub besorgen sollte. Gerade da erwirkte jedoch der Zufall die Wendung, die meine Fragen nicht hatten erwirken können, und das Gerede des keuchenden Alten schlug eine Richtung ein, die mich dazu brachte, mich vorzubeugen und aufmerksam zu lauschen. Ich saß mit dem Rücken zur See, doch er saß ihr direkt gegenüber, und aus irgendeinem Grunde hatte sein umherschweifender Blick sich an der tiefen, fernen Linie des Teufelsriffs erzürnt, das sich zu diesem Zeitpunkt deutlich und beinahe faszinierend über den Wellen zeigte. Der Anblick schien ihm zu missfallen, denn er fing mit einer Reihe leiser Flüche an, die in einem vertraulichen Flüstern und einem wissenden Blick endeten. Er neigte sich mir entgegen, ergriff mich am Revers meines Mantels und zischte ein paar Anspielungen, die nicht missverstanden werden konnten.
»Dort drüb’n hat alles angefang’n – dem verfluchten Ort alles Bösen, wo’s Tiefwasser anfängt. Die Höllenpforte – stürzt tief hinab auf’n Grund, wo keine Lotschnur hinkommt. Der alte Käpt’n Obed hat’s gemacht – der, wo auf den Südseeinseln mehr herausgefund’n hat als gut für’n war.
Allen isses damals schlecht gegang’. Der Handel is’ abgeflaut, die Mühlen ham Geschäfte verlorn – sogar die neuen –, un’ die besten von unsern Männern sin’ umgekommen im Krieg von 1812 oder verscholl’n mit der Brigg Elizy un’ der Schute Ranger – beides war’n Gilman-Schiffe. Obed Marsh, der hatt’ drei Schiffe am Laufen – die Brigantine Columby, die Brigg Hetty un’ die Bark Sumatry Queen . Er war der Einzige, der mit’m Ostindien- und Pazifik-Handel weitergemacht
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