Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
mit dem Kopf zur anderen Seite des Feuers.
Dort war Cluaran lautlos aufgestanden. Ohne einen Blick in ihre Richtung verschwand er in der dunklen Nacht.
Elsa wartete, bis er sie nicht mehr hören konnte. Selbst dann getraute sie sich nur zu flüstern.
»Ich wüsste gern, wohin er geht.«
Adrian zuckte die Schultern. »Wer weiß? Aber pass auf, was du sagst. Er geht so leise, dass man nie hört, wenn er zurückkehrt.«
Adrian hat recht, dachte Elsa. Die Nacht des Überfalls war ihr eingefallen, als Cluaran scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Wie auch die Diebe. Sie stützte sich auf den Ellbogen und sah Adrian stirnrunzelnd an.
»Woher wusstest du damals bei dem Überfall eigentlich, dass es Diebe waren und nicht Cluaran?«
Adrian starrte sie lange Zeit schweigend an.
»Ich konnte durch ihre Augen sehen«, sagte er endlich.
»Du meinst also, du … bist ein Dunkelauge?« Elsa schreckte instinktiv vor ihm zurück. Sie dachte an die vielen Geschichten von Verrätern, die mit dem Zweiten Gesicht begabt und von Königen gekauft worden waren, um einen Gegner auszuspionieren.
»Ich kann vielleicht sehen wie ein Dunkelauge, aber ich bin kein Verräter«, brauste Adrian auf. Er lächelte bitter. »Erst Aagard sagte mir, was ich bin, und ich will das gar nicht sein. Ich wusste es bis zum Sturm selbst nicht. Wie du mit dem Kristallschwert.«
Elsa sah auf ihre rechte Hand und bewegte die Finger. »Wir besitzen also beide eine Gabe, die eigentlich mehr ein Fluch ist.«
»Aber dein Schwert hat uns gerettet«, widersprach Adrian. »Meine Gabe dagegen bringt uns nur Schwierigkeiten.« Er zog eine Grimasse. »Weißt du noch, was geschah, kurz bevor Aagard uns verließ?«
»Er meinte, sein alter Feind – Orgrim – habe versucht, durch deine Augen zu sehen. Aber du kannst das doch genauso. Und du konntest ihn abwehren.«
»Ich konnte ihn wegschieben, mehr nicht. Doch Aagard sagte, er würde zurückkehren und nach dem Schwert suchen. Und er kennt mich jetzt, Elsa!« Adrian wandte sich ab und sie hatte Mühe, seine nächsten Worte zu verstehen. »Ich weiß nicht, ob ich ihn noch einmal abwehren kann.«
In Elsa stieg Mitgefühl auf. Adrian klang wie ein verängstigter Junge und keineswegs wie die mächtigen, schattenhaften Dunkelaugen, von denen man in ihrer Kindheit mit gedämpfter Stimme gesprochen hatte. Zu gern hätte sie ihn getröstet – sie hatte auch schon eine Idee.
»Ich glaube, du irrst dich«, sagte sie langsam. »Orgrim hat keinen Grund, zu dir zurückzukehren.« Adrian hob hoffnungsvoll den Kopf und sie erschrak. Hoffentlich hatte sie recht. »Orgrim gebraucht seine Macht doch zum Spionieren, aber wie kann er jemanden ausspionieren, der von ihm weiß? Er wird sich doch lieber jemanden aussuchen, der ihn nicht spürt.« Sie schluckte. »Jemanden wie mich«, sagte sie mühsam. »Vielleicht muss ja ich mich vorsehen.«
Adrian sah sie misstrauisch an. »Wie meinst du das?«
Elsa schluckte wieder. »Versuch doch mal, durch meine Augen zu sehen.«
»Nein!«, rief er und drehte sich weg.
»Aber sieh mal, Adrian!«, beharrte sie. »Aagard meinte, er hätte gelernt, wie es sich anfühlt, wenn jemand seine Augen benützt. Vielleicht kann ich das auch lernen. Aber dazu musst du versuchen, durch meine Augen zu sehen, damit ich kennenlerne, wie sich das anfühlt. Wie soll ich sonst merken, ob Orgrim meine Augen benützt?«
Die verschiedensten Gefühle zeichneten sich auf Adrians Gesicht ab. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Aber willst du das wirklich?«
Elsa nickte entschlossener, als ihr zumute war. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Adrian zu vertrauen, egal, ob er ein Dunkelauge war oder nicht.
Adrian verharrte bewegungslos und konzentrierte sich. Doch nichts geschah. Er blickte durch sie hindurch, sein Gesicht war wie versteinert.
Nach einer Weile wagte Elsa zu fragen: »Was hast du gesehen?«
Er schreckte aus seiner Trance auf und hob verwirrt den Kopf. »Gar nichts!«
»Was soll das heißen?«
»Ich kann nicht durch deine Augen sehen. Um dich ist eine Art … undurchsichtiges Weiß.«
Sie starrte ihn an. »Hast du das schon einmal erlebt?«
»Nein! Aber ich habe es ja auch erst selten gemacht. Vielleicht funktioniert es nicht bei allen.«
»Vielleicht geht es Orgrim genauso!«, sagte Elsa hoffnungsvoll.
»Vielleicht«, sagte Adrian. »Aber vielleicht liegt es auch an dir.« Er grinste. »Ich glaube, niemand könnte dich zu etwas zwingen, was du nicht willst!«
Elsa lächelte
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