Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
suchen?«
»Von uns haben sie nicht gesprochen. Sie können unmöglich wissen, dass ich das Schwert habe.«
Adrian nickte. »Noch nicht, aber Orgrim braucht keine Soldaten, um Menschen aufzuspüren. Sobald er weiß, dass du das Schwert hast, kann er seine Leute geradewegs zu uns schicken.«
»Du glaubst also, er kann mit meinen Augen sehen? Obwohl du es nicht konntest?«
»Nein.« Adrian wählte seine Worte sorgfältig. »Ich glaube, das Schwert schützt dich, wie Aagard gesagt hat. Aber deshalb bist du trotzdem in Gefahr!«
»Warum?« Elsas Stimme klang gepresst.
Adrian antwortete nicht gleich. Orgrim kennt mich jetzt, dachte er. Er könnte mich leicht finden, wenn er wollte. Ob Dunkelaugen einander anziehen? Er hätte Aagard darüber ausfragen sollen, als das noch möglich war, statt nichts von seiner unwillkommenen Gabe wissen zu wollen!
Sein Vater war sein ganzes Leben lang auf Feldzügen unterwegs gewesen, seine Mutter Branwen hatte ihn überwiegend allein großgezogen. Von ihr hatte er gelernt, was er über die Verwaltung des Hofes und das für einen jungen Prinzen angemessene Benehmen wissen musste. Eine Zeit lang hatte Branwens Bruder Aelfred bei ihnen gelebt und Adrian ersten Unterricht in der Fechtkunst und anderen höfischen Fertigkeiten erteilt, für deren Erlernung der Junge seiner Meinung nach alt genug war. Seine Aufmerksamkeit hatte Adrian geschmeichelt. Er hatte nur wenige andere richtige Freunde, und Aelfred schien trotz des großen Altersunterschieds immer genau zu wissen, wie Adrian zumute war. Er hatte seine Albträume mit fantastischen Geschichten gelindert und seine Ängste zerstreut. Doch dann war er nach Gallien gezogen, um sechs Rappen zu kaufen, und Adrian hatte wieder bei seiner Mutter gelernt und sich auf die Zeit vorbereitet, in der er das Königreich seines Vaters regieren würde.
Ein kalter Schauer überlief ihn. Konnte ein Dunkelauge überhaupt König werden? Oder musste er, um nicht enterbt zu werden, sein Geheimnis für sich behalten? Und noch wichtiger: Stellte er eine Gefahr für die anderen dar, wenn er nach Hause zurückkehrte?
Er hob den Kopf und fand Elsas Augen auf sich gerichtet. »Orgrim könnte dich durch mich finden«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich ihn noch einmal wegschieben kann. Ohne mich wärst du sicherer.«
Elsa schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte sie bestimmt. »Wir müssen zusammenbleiben. Ich weiß, dass er mich sucht – wegen des Schwertes. Aber wenn wir uns trennen, sind wir deshalb nicht sicherer. Und wer weiß, vielleicht verfliegt der Zauber ja wieder und das Schwert sucht sich eine andere Hand, wenn es erst merkt, wie ungeübt die meine ist!« Sie lächelte bitter und wies mit einem Nicken auf Cluarans rasch kleiner werdenden Rücken. »Außerdem müssen wir schon deshalb zusammenbleiben, damit wir das Sprechen nicht verlernen. Mit wem sollten wir sonst reden?«
Erst als die Sonne sich dem Horizont näherte, verlangsamte Cluaran seinen Schritt. Die Gegend war grüner geworden, die ersten Anzeichen des Frühlings zeigten sich. Am Rand eines Waldes blieb der Sänger stehen und wartete auf sie.
»Wohin bringt Ihr uns?«, fragte Adrian. »Lord Gilbert sagte, Ihr wäret nach Osten, nach Wareham unterwegs.«
»Ich habe meine Pläne geändert«, erwiderte Cluaran. »Wir gehen nach Norden, nach Glastening. Ich habe dort zu tun.«
»In Glastening gibt es eine Kirche«, sagte Elsa. »Mein Vater hat einmal davon gesprochen.« Sie verstummte und ihre Augen wurden dunkel vor Kummer.
Sie marschierten an einem Bach entlang, zwischen Eichen und Buchen hindurch, deren Äste mit dicken Knospen besetzt waren. Cluarans schlechte Laune hatte sich offenbar gebessert. Er summte leise vor sich hin, als hätte die Umgebung ihn aufgeheitert.
Er führte sie durch eine Lücke zwischen den Bäumen und blieb stehen. »Wir sind gut vorangekommen«, sagte er. »Wir wollen hier eine Weile ausruhen.«
Adrian sah an ihm vorbei und riss erstaunt die Augen auf. Vor ihnen lag ein See, nicht groß, aber vollkommen still. Das Wasser leuchtete in einem reinen, durchsichtigen Grün. Bäume beugten sich darüber und strichen mit ihren Äste über die in der Sonne funkelnde Wasseroberfläche. Einige frühe Libellen flitzten über das Wasser, sonst bewegte sich nichts.
Sie setzten sich ans Ufer. Elsa lehnte sich seufzend an einen Baum und Adrian spürte, wie seine Anspannung nachließ.
»Hier verläuft die Grenze des Königreichs Wessex«, sagte Cluaran. »Wir
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