Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
Cluaran leise mit sich selbst sprach. Er bedeutete dem Sänger, still zu sein. Hatte Cluaran nicht gehört, dass die Männer nach ihnen suchten?
Es wurde kalt. Wind kam auf und blies den Staub vor Adrians Augen über die Büsche zum See. Als Nächstes schlugen die Äste über ihnen klappernd aneinander und Wolken von Blättern wirbelten durch die Luft. Vom Seeufer hörte man das unruhige Stampfen der Pferde und die scharfen Rufe der Männer. Einer versuchte sein Pferd zu beruhigen, ein anderer schimpfte über den Staub in seinen Augen. Der Wind wurde immer stärker und hob ganze Zweige vom Boden auf. Die Rufe der Männer wurden lauter.
Cluaran zog Adrian am Arm und der Junge sprang auf. Der Wind heulte. Die drei krochen aus ihrem Versteck, schulterten ihre Bündel und flohen in den Wald.
Die Stimme des Hauptmanns brüllte hinter ihnen her: »Stehen bleiben! ,sagte ich, ihr Dummköpfe.«
Sie brachen durch das Gestrüpp, ohne auf die Dornen und die schnalzenden Äste zu achten. Die Stimme des Hauptmanns wurde leiser. Der Wind heulte beständig und die ersten dicken Regentropfen fielen durch die Blätter. Die Bäume wurden höher und sie kamen leichter voran. Über ihnen tobte das Unwetter.
Erst spätabends machten sie Rast. Die Angst hielt Adrian und Elsa auf den Beinen und Cluaran schien den Weg im Dunkeln genauso gut wie im Hellen zu finden. Zuletzt stolperten sie vor Erschöpfung über alle möglichen Wurzeln und auf dem Boden liegenden Äste, und Cluaran sah sich nach einem geeigneten Unterschlupf für die Nacht um. Er fand ihn unter einer gewaltigen Eibe, deren dichte Nadeln sie vor den Ausläufern des Unwetters schützten.
Dankbar sank Elsa neben Adrian auf den Nadelteppich. Sie wusste, dass Adrian den Mann mit der kalten Stimme erkannt hatte – sie hatte gemerkt, wie er erstarrte. Zugleich hatte sie, während der Mann sprach, immer deutlicher das Gewicht des Schwertes in der Hand gespürt. Dann war der Rabe zu dem Mann hinuntergeflogen, und auf ihrer Haut hatte sich bereits der Handschuh abgezeichnet und die Klinge hatte schwach durch das Dickicht geschimmert. Was hatte das zu bedeuten? Auf der Flucht durch den Wald war das Schwert wieder verschwunden, aber das Kribbeln in der Hand war noch immer zu spüren.
Solange Cluaran zuhörte, konnte sie Adrian natürlich nicht fragen. Stattdessen wandte sie sich an den Sänger.
»Wohin gehen wir jetzt?«
»Das habe ich doch schon gesagt«, erwiderte Cluaran und streckte sich auf dem feuchten Boden aus wie auf einem Bett. »Wir gehen nach Glastening. Wir befinden uns in Wessex, und hier ist es überall gefährlich. Auf der Straße begegnen wir Soldaten, erwischt man uns abseits der Straße, hängt man uns als Diebe. In Glastening ist es nicht gefährlicher als anderswo. Ich habe dort zu tun und meine Geschäfte dulden keinen Aufschub.«
11. KAPITEL
Glastening war größer als alle Städte, die Elsa bis dahin besucht hatte. Die drei Reisenden blieben am Waldrand stehen und blickten auf die Stadt hinunter. Sie bestand aus festen Holzhäusern inmitten wohlbestellter Felder und einer aus Stein erbauten Kirche in der Mitte. Vor der Kirche standen einige Marktbuden. Elsa fieberte ihrer Ankunft inzwischen ungeduldig entgegen. Wenigstens fielen sie dort nicht mehr so auf wie im Haus des adligen Gilbert oder dem Haus, in dessen Vorratskeller sie sich versteckt hatten. Dafür hatte Cluaran gesorgt.
Er hatte sie am Morgen im Schutz der Bäume zurückgelassen und war einige Zeit später mit einem Bündel unter dem Arm zurückgekehrt. »Die müssten dir passen«, hatte er zu Elsa gesagt und ihr den wollenen Kittel und die Hosen eines Jungen hingehalten. »Die Wächter suchen nach einem Jungen und einem Mädchen. Stattdessen haben sie es jetzt mit zwei Jungen zu tun. Wir müssen dir die Haare schneiden.« Er zog ein Messer aus dem Gürtel. »Das ist für dich, Adrian.« Er holte ein kleines Fläschchen aus der Tasche, dessen Inhalt im Schatten der Bäume schwarz aussah. »Walnusssaft«, erklärte er. »Damit färben wir dir Gesicht und Haare. Du hast die Soldaten gehört – sie suchen nach einem Jungen mit hellen Haaren und einem Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Sie werden in dieser Stadt niemanden finden, auf den diese Beschreibung passt.«
Die Jungenkleider fühlten sich komisch an, passten Elsa aber einigermaßen. Breitbeinig wie ein Matrose ging sie ein Stück hangabwärts in Richtung Stadt, hörte Adrian lachen und grinste ihn an. Sie hörte ihn zum
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