Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
schnell hintereinander, dass Elsa seine Hand gar nicht zum Köcher greifen sah. Adrian schlug mit einem dicken Ast um sich. Der Ast knallte gegen Baumstämme und ließ Zweige und Blätter herunterregnen.
Cluarans Pfeile bohrten sich in die mächtigen Schultern des Ebers. Der Eber zögerte, wich Adrians Keule aus und lief weiter auf Elsa und das Mädchen zu.
Steh mir bei! ,betete sie.
Eine Stimme, die aus Feuer und Eis gleichzeitig zu bestehen schien, antwortete: Ich bin da. Hab keine Angst.
Elsa stützte die rechte Hand mit der linken und schlug zu. Sie hörte das Schwert durch die Luft sausen, schloss die Augen und machte sich auf das Auftreffen der Klinge auf Fleisch und Knochen gefasst – doch sie spürte nichts. Sie öffnete die Augen. Der Königseber war im letzten Augenblick abgeschwenkt und durch die Bäume gebrochen. Nur das zitternde Laub zeigte an, wo er eben noch gestanden hatte.
»Bist du verletzt?«, rief Adrian und eilte zu ihr.
Elsa schüttelte den Kopf. Zum Sprechen fehlte ihr die Luft. Sie hatte das Schwert gerufen und es hatte ihr geantwortet. Und diesmal war sie darauf gefasst gewesen, es auch zu verwenden. Sie hätte den Eber getötet, um das Mädchen zu retten. Sie drehte sich um und sah, dass Cluaran das Mädchen in den Armen hielt. Es schwieg erschrocken und hatte die blauen Augen angstvoll aufgerissen.
»Es kommt bestimmt aus Oferstow«, sagte er. Seine Stimme klang seltsam ausdruckslos und sein Blick wanderte zu Elsas rechter Hand, an der das Schwert flackerte wie eine erlöschende Kerze.
Er seufzte. »Ob wir wollen oder nicht«, sagte er leise, »unser nächstes Ziel scheint Oferstow zu heißen.«
15. KAPITEL
Adrian hielt die Hände über das Schmiedefeuer und lächelte. Er begegnete Elsas Blick.
»Ich finde es hier gar nicht so schlimm wie Cluaran!«, flüsterte er.
Elsa erwiderte sein Lächeln. Es war herrlich, im Warmen und Trockenen zu sitzen und etwas Gutes zu essen zu haben und für später die Aussicht auf ein trockenes Bett.
Cluaran hatte klargestellt, dass sie gleich im Morgengrauen wieder aufbrechen mussten.
Er saß auf einer Radnabe auf der anderen Seite des Feuers – jederzeit bereit, aufzuspringen und zur Tür zu eilen.
Wahrscheinlich war das einfach seine Art, dachte Adrian. Zu viele freundliche Menschen machten ihn unglücklich. Zwar verdiente er seinen Lebensunterhalt, indem er die Gäste der Adelssitze überall im Land unterhielt, doch fühlte er sich offensichtlich allein am wohlsten und traute auch nur dem, was er mit eigenen Augen sah.
Etwa fünfzehn Dorfbewohner waren kurz nach der Flucht des Königsebers auf dem Waldweg aufgetaucht. Sie schlugen mit grimmigen Gesichtern an die Bäume und riefen laut nach dem vermissten Kind. Eine stämmige Frau mit fuchsroten Haaren hatte Cluaran das Mädchen aus den Armen gerissen, als verdächtige sie ihn des Kindraubs. Elsa und Adrian hatten die Dörfler allerdings schnell über die Wildschweine aufgeklärt – sie verschwiegen nur, wie Adrian die Rotte im Wald aufgespürt und Elsa den Königseber in die Flucht geschlagen hatte. Zu ihrer Erleichterung sagte das kleine Mädchen nichts von der Klinge aus Licht, die Elsa plötzlich in der Hand gehalten hatte. Es sagte überhaupt nichts, sondern vergrub das Gesicht in den Armen der Mutter, um den schrecklichen Wald nicht mehr sehen zu müssen.
Die Mutter des Mädchens, die rothaarige Frau Kedwyn, hatte die beiden Jungen Elis und Adrian in ihr Haus im Dorf mitgenommen, während die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Männer zusammen mit Cluaran nach den verlorenen Pferden suchten. Elsa hatte einen Schnitt an der Stirn, wo ein Ast sie getroffen hatte, und das Blut lief ihr über das Gesicht. Sie und der verletzte Adrian wurden im Dorf wie Helden willkommen geheißen.
»Der große Eber hat vor zwei Jahren meinen Mann getötet«, erzählte Kedwyn, und ihre Augen verdunkelten sich vor Kummer. Sie setzte das Mädchen auf eine zusammengefaltete Decke am Feuer und holte einen Topf mit Salbe. Anschließend verband sie den Schnitt auf Elsas Stirn und säuberte Adrians Wunden und schmierte Salbe darauf. Adrian zuckte zusammen.
»Die Salbe brennt wie Feuer«, gestand er Elsa danach. »Aber mein Arm tut schon weniger weh.«
Das Mädchen starrte in die Flammen und dann auf Elsas Hand. Adrian warf Elsa einen Blick zu. Auch sie schien besorgt, was das Mädchen gleich sagen würde. Das Mädchen öffnete den Mund, als wollte es etwas sagen, doch dann schloss es ihn wieder und
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