Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
nichts zu essen gegeben und wir haben Hunger!«
Der Mann lachte meckernd. »Er hätte sich nicht auf zwei Schlawiner wie euch verlassen dürfen!«, spottete er. »Glaubt ihr denn, ihr bekommt etwas zu essen, wenn ihr ihm folgt, statt einer Tracht Prügel? Ich wette, die Pferde sind eurem Herrn wichtiger als ihr!«
Er öffnete eine kleine Pforte im Tor und sie schlüpften hindurch. »Wenn ihr euch unbedingt Prügel holen wollt, will ich euch nicht daran hindern«, sagte er. »Aber ihr müsst ihn bis zur Sperrstunde finden.«
Die Häuser reichten bis an die Stadtmauer heran und die Straße verzweigte sich zwischen ihnen. Am Rand wohnten die Armen in aus Flechtwerk und Lehm erbauten Hütten, die eng zusammenstanden und durch ein Spinnennetz von Wegen miteinander verbunden waren. Elsa und Adrian gingen die Straße entlang, die ihnen am breitesten und geradesten vorkam, und gelangten bald zu größeren Häusern mit kleinen Gemüsegärten und Feuerstellen im Freien. Elsa hörte Hühner gackern. Eine alte Frau molk eine Ziege, ansonsten waren wenig Menschen zu sehen. Essensgerüche erfüllten die Luft und durch Fensterschlitze drangen Stimmen. Wahrscheinlich saßen die meisten Bewohner der Stadt beim Abendessen. Adrian sah sich wachsam um, doch Elsa fühlte auf einmal ein grenzenloses Selbstbewusstsein, als könnte ihr nichts passieren. Genauso hatte sie sich in Glastening gefühlt, als sie das Kristallschwert gezogen hatte, und in Oferstow, als das Schwert erschienen war, kaum dass sie es gerufen hatte, als es ihr zu antworten schien …
»Da wären wir«, sagte Adrian. »Jetzt suchen wir Cluaran und finden heraus, was er vorhat – am liebsten wäre es mir allerdings, wenn er uns nicht sähe.«
Elsa nickte. »Er würde sowieso nur an seiner langen Nase entlang auf uns herabblicken.«
»Und uns sagen, wie wichtig seine Geschäfte sind und wie sehr wir ihn dabei stören«, fügte Adrian hinzu. Er lachte, wurde aber gleich wieder ernst. »Wir sollten auch sonst möglichst nicht auffallen«, sagte er.
Sein Ernst steckte Elsa an. »Ich will auch gar nichts Dummes anstellen«, beruhigte sie ihn. »Wenn wir den Wächtern begegnen, verstecken wir uns.«
Wie auf ein Stichwort ertönte hinter ihnen Hufgeklapper.
Adrian packte Elsa an der Hand und zog sie an den Straßenrand. Sie bogen um die Ecke des nächsten Hauses, das mit seinen festen Holzwänden einen wohlhabenden Eindruck machte und durch dessen Rauchabzug appetitanregende Dämpfe quollen, und liefen an der Hauswand entlang von der Straße weg. Das Hufgeklapper wurde lauter und wieder leiser. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und zwischen den Häusern war es schon fast dunkel. Sie kamen an Gemüsegärten und Misthaufen vorbei und begegneten zwei Mädchen, die an einem Ziehbrunnen Wasser holten. Die Mädchen warfen ihnen neugierige Blicke zu.
Irgendwo vor ihnen läutete eine Glocke. Die Mädchen zogen hastig ihren Eimer hoch und verschwanden in einem Haus.
»Es läutet bestimmt zur Sperrstunde«, sagte Adrian. Er blieb stehen. »Ich habe versucht, durch Cluarans Augen zu blicken, aber ich kann ihn nicht finden. Wo könnte er deiner Meinung nach sein?«
Elsa versuchte über die Dächer der umliegenden Häuser zu blicken. Vor ihnen ragten einige höhere Gebäude und ein offenbar aus Stein erbauter Turm als schwarze Silhouetten auf.
»In dieser Richtung«, sagte sie. »Er wickelt seine Geschäfte bestimmt im Zentrum der Stadt ab.«
Ein schmales Sträßchen führte zu einem großen, viereckigen Platz, gesäumt von stattlichen steinernen Häusern. Der Turm, den Elsa gesehen hatte, gehörte zu einer Kirche, die größer und schöner war als die, die sie in Glastening gesehen hatten. Doch die Kirche war nicht das schönste Gebäude am Platz. Schon die Römer hatten hier gebaut und an zwei Seiten des Platzes steinerne Häuser hinterlassen. Sie standen tiefer als die Kirche, waren aber prächtig mit Säulen und Skulpturen verziert. Staunend betrachtete Elsa sie.
Auf der dritten Seite des Platzes stand ein aus Balken erbautes Haus, das länger und breiter war als alle Häuser, die sie bis dahin gesehen hatte. Wie die Halle eines Königs, dachte sie und duckte sich mit Adrian hinter eine Marmorsäule.
Erst jetzt sah sie die beiden Männer, die davor Wache standen. Ihre Gesichter und schwarzen Kleider waren im Dämmerlicht nicht zu erkennen, nur die silbernen Buckel auf ihren Schilden leuchteten in der untergehenden Sonne.
Einige letzte Passanten beeilten sich, den
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