Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
aufgeschrammten Glieder, richtete sich auf den Knien auf und hielt das Schwert bereit.
Hinter ihr ertönte ein leises, melodisches Pfeifen und die Wölfe drehten alle gleichzeitig die Köpfe. Eolande näherte sich vom Eingang des Tunnels. Sie bewegte sich steif, als habe sie sich bei ihrem Sturz verletzt, und ihr graues Kleid war am Saum eingerissen, doch ihre Haut war unversehrt und ihr Gesicht so ruhig wie immer.
»Die Wölfe tun dir nichts«, sagte sie zu Elsa. Die Wölfe sprangen auf sie zu und umringten sie in einem Meer weißer Leiber und sie streichelte ihnen die Köpfe und redete beruhigend auf sie ein wie auf Jagdhunde. »Zwei starben, um uns zu retten«, sagte sie und sie klang aufrichtig traurig. »Doch sie werden gerächt werden. Komm.« Sie wies zum Eingang des Tunnels und Elsa stand auf. »Hier sind wir nicht sicher.«
Sie drehte sich um und ging den Tunnel zurück und die Wölfe liefen brav wie Schoßhunde hinter ihr her. Elsa folgte ihr mit einigem Abstand. Ihre Gedanken rasten. Adrian hatte auf dem Marsch von Frithas Zuhause zu den Eisfeldern von seltsamen Wölfen im Wald berichtet: Wölfe, die ihnen folgten, ohne sie zu bedrohen, die sie nur beobachteten. Waren dies dieselben Wölfe – und folgten sie ihr schon die ganze Zeit?
Vor sich sah sie Sonnenlicht. Dann stand sie am Eingang der Spalte, an der Stelle, an der die Wölfe Taragor angegriffen hatten. Vor ihr machte der steinige Boden einem Geröllfeld aus gewaltigen Felsbrocken Platz, das auf der einen Seite bis zu den Schneefeldern hinunterreichte. Auf der anderen Seite türmte sich baumhoch und in bizarren Kämmen und Graten das Eis auf. Die Felsen unmittelbar vor ihnen waren versengt und blutbefleckt. Ein toter Wolf lag dort. Sein Fell hob sich hell von dem grauen Stein ab. Eolande beugte sich zu ihm hinunter, legte ihm die Hand auf den Kopf und murmelte bekümmert ein paar Worte. Dann pfiff sie scharf und durchdringend und breitete die Arme aus. Die Wölfe entfernten sich in den Richtungen, in die ihre Hände zeigten. Gewandt sprangen sie zwischen den schroffen Felsen hindurch. Eolande sah ihnen nach, dann drehte sie sich zu Elsa um und bedeutete ihr, ihr zu folgen.
»Augenblick«, sagte Elsa. Wollte Eolande ihr denn nicht erklären, wohin sie gingen? »Warum haben die Wölfe uns gerettet? Habt Ihr sie gerufen? Und wohin bringt Ihr mich jetzt?«
»Ich bringe dich zu Lokis Höhle«, antwortete Eolande. Ihre Stimme klang scharf und ungeduldig. »Der Drache wollte das auch – aber eine Begegnung mit Loki in seinen Klauen hättest du nicht überlebt.« Sie streckte die Hand aus und zog Elsa zu sich herauf. »Komm, bevor er zurückkehrt!«
Geh mit, sagte das Schwert in Elsas Kopf. Die Berührung von Eolandes Hand fuhr ihr durch den Arm – wie schon damals auf dem Berg kurz vor Auftauchen des Drachen, als Eolande sie am Arm gepackt hatte. Doch sie nickte und ließ sich willig zu den zerklüfteten Eisschollen am Rande des Gletschers zurückführen. Sie hörte die Stimme in ihrem Kopf unruhig murmeln – etwas stimmte nicht. Doch es war nach wie vor Eile geboten, entnahm sie der Stimme, und die Gefahr war keineswegs gebannt. Geh – in den Berg hinein!
Von Gehen konnte keine Rede sein, dachte sie, vielmehr von einem Kampf gegen Felsen und Eis. Sie kletterten über unförmige Felsbrocken und zwängten sich zwischen Felsen hindurch. Ihre Füße rutschten auf dem Eis ständig aus. Elsas Hände waren schon bald von Schnitten und Schürfwunden bedeckt. Einmal stürzte sie, wollte sich mit der linken Hand abstützen und schnitt sich an der messerscharfen Kante eines Felsvorsprungs den Arm auf. Eolande, die vorauseilte, sah sich nicht um, doch Elsa folgte ihr nach ihrem Sturz vorsichtiger. Was immer geschah, sie durfte sich auf keinen Fall am rechten Arm verletzen.
Schon bald gingen sie zwischen Eiswänden hindurch, die ihre Köpfe überragten. Der Boden wurde glatter und der Weg stieg leicht an. Elsa rutschte bei jedem Schritt ein Stück zurück.
Sie stolperte und hielt sich an der Eiswand fest. Diesmal drehte Eolande sich um. »Es ist nicht mehr weit«, sagte sie. Elsa erschrak, als sie ihr Gesicht sah. Für einen kurzen Moment malte sich auf ihm die gleiche Unrast, die sie selbst empfand. Abrupt drehte Eolande sich wieder um und ging weiter, so schnell, dass Elsa fast laufen musste, um mit ihr mitzuhalten. Wie schaffte Eolande das, ohne auszurutschen? Elsa versuchte in Eolandes Fußspuren zu gehen, und das brachte eine gewisse Erleichterung.
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