Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
Eolande schien all die Stellen zu sehen, an denen das Eis rauer war oder kaum sichtbare Steine durch die Oberfläche brachen. Entweder sie hatte die Augen eines Falken oder sie war schon oft hier gewesen.
Warum wollte Eolande sie eigentlich so unbedingt zu Loki bringen? Elsa hätte gern gewusst, was ihre Führerin ihr alles verschwieg. Gab es Gefahren, von denen sie nichts wusste?
Das spielt keine Rolle, sagte die Stimme des Schwertes. Geh weiter!
Elsa versuchte mit Eolande Schritt zu halten. Der Weg machte eine Kurve und unversehens standen sie vor einer Felswand. Elsas Beine zitterten vor Anstrengung und Erschöpfung. Über ihnen verdeckten das Eis und die Felswand den blauen Himmel. Eolande blieb stehen und sah Elsa an.
»Hier können wir eine Weile rasten«, sagte sie. »Bevor wir weitergehen, will ich deine Fragen beantworten. Denn in Wirklichkeit bin ich es, die dir Dank dafür schuldet, dass du gekommen bist und Ioneth mitgebracht hast.«
Sie lächelte – und Elsa wurde auf einmal ganz beklommen zumute. Nicht anhalten! ,rief die Stimme des Schwertes. Sie soll nichts erklären! Sie muss uns sofort zu Loki bringen! Sie befanden sich in Lokis Nähe, Elsa spürte es wie einen dunklen Sog, der sie anzog.
Nein, sagte sie zu der Stimme in ihrem Kopf. Ich muss wissen, was diese Frau will, bevor ich ihr weiter folge. Das Schwert zerrte mit einer geradezu körperlichen Kraft an ihr, doch sie lehnte sich gegen die Felswand und hörte Eolande zu.
»Zunächst muss ich dir etwas sagen, was ich dir verschwiegen habe«, begann Eolande. »Ich gehöre zu den Fay. Meine Zauberkunst schützt mich – sie wird auch dich schützen, wenn du Lokis Höhle betrittst.«
Elsa bekam eine Gänsehaut, wie schon damals, als Eolande in ihrer Kammer unter dem Eis die Fay zum ersten Mal erwähnt hatte – jenes unheimliche Volk, das sich den Augen der Sterblichen nie zeigte, aber Gerüchten zufolge deren Kinder raubte. Elsa hatte sie früher für Fabelwesen gehalten – genauso wie Drachen und Geister.
»Ich dachte, die Fay lebten in einer anderen Welt«, sagte sie. »Es heißt doch, sie könnten außerhalb ihres Landes nicht leben. Warum seid Ihr dann hier?«
»Es kostet mich viel Kraft«, erwiderte Eolande und wirkte zum ersten Mal müde. »Die anderen Fay kehrten in ihre Wälder und Moore zurück, nachdem sie Loki gefesselt hatten. Ich blieb, weil ich musste. Bei Gelegenheit besuche ich den nahe gelegenen Wald, und die Geschöpfe des Waldes, die weißen Wölfe, helfen mir. Ich helfe ihnen, Nahrung zu finden und sich zu schützen, und sie betätigen sich im Gegenzug als meine Augen und Ohren. Ich habe sie gerufen, damit sie uns vor dem Drachen retten. Wenn der Drache uns in Anwesenheit Lokis festgehalten hätte, hättest du nicht gegen ihn kämpfen können.«
»Dann habt also Ihr die Wölfe zu uns geschickt, als wir noch im Wald waren«, sagte Elsa langsam. »Sie sollten uns bewachen.«
Eolande nickte.
»Aber warum?«, beharrte Elsa. »Warum wolltet Ihr uns beschützen?«
»Weil ich schon lange auf euch warte – oder zumindest hoffte, dass ihr kommt.« Eolandes Stimme klang plötzlich rau. »Damals als … als Brokk verschwand, verschwand auch das Schwert. Wir fanden nur den silbernen Handschuh. Doch Brokk hatte mir gesagt, was ich in diesem Fall tun sollte. Wir sollten den Handschuh in eine Kiste einschließen, die er gemacht hatte, und ihn dort aufbewahren. In das Holz der Kiste ist ein Zauber eingeschnitzt: Sollte Loki je wieder seine alte Macht erlangen, würde das Schwert zurückkehren. Als Loki erneut begann, Intrigen zu spinnen und Helfer für seine Machenschaften anzuheuern, schickten wir die Kiste sicherheitshalber in meine Heimat. Doch Lokis Macht wuchs unaufhaltsam. Im vergangenen Jahr öffnete er den Spalt im Felsen, damit der Drache zu ihm hineinfliegen konnte.«
Eolande fasste Elsa an den Schultern und sah sie eindringlich an. »Dann berichteten mir die Wölfe, der Drache habe ein Mädchen gebracht, das ein Schwert aus Licht bei sich trage – das Mädchen sei ihm entkommen und irre durch den Wald. Natürlich habe ich den Wölfen befohlen, auf dich aufzupassen und dafür zu sorgen, dass dir nichts passiert. Außerdem sollten sie dich möglichst hierherbringen. Du bist dann allerdings von selbst gekommen.« Eolandes Augen leuchteten. »Ioneth hatte dir schon gesagt, was du tun musst.«
Alle gehen davon aus, dass ich tun werde, was man von mir erwartet, dachte Elsa. Sie wusste nicht, ob sie sich über das
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