Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
»Oder wir finden heraus, was ihnen zugestoßen ist.«
Der Junge wachte auf, als sie die Glut zerstreuten, und schlang seinen Teil des Kaninchens mit einer Gier hinunter, die vermuten ließ, dass er seit Tagen nichts gegessen hatte. Seine Angst schien ein wenig nachgelassen zu haben. Er betrachtete Adrian und die beiden Männer zwar misstrauisch, sprach aber mit ihnen.
»Ihr habt die bösen Männer getötet«, sagte er zu Cathbar, den Mund voller Fleisch. »Jetzt bleibe ich bei Euch.«
Adrian begriff, warum Elsa Wulf so schwer verstand: Er sprach Dansk in einem singenden Tonfall, als sei es für ihn eine fremde Sprache, und sah manchmal ratlos aus, wenn er etwas gefragt wurde. Aber er fühlte sich ganz offensichtlich zu Elsa hingezogen. Als sie aufstand, um ihre Decke zu holen, die sie an einem Baum zum Lüften aufgehängt hatte, sprang er noch kauend auf und half ihr beim Einrollen.
»Ich kann dir helfen!«, rief er. »Lass mich das machen, Elsa!«
Lächelnd ließ sie ihn gewähren. Zu Adrians Überraschung rollte der Junge die unförmige Decke ordentlich auf. Offenbar kannte er das Leben auf der Straße. Vielleicht würde er sie gar nicht so sehr behindern. Allerdings war er für den Winter ungenügend angezogen. Sein Hemd war zerrissen und viel zu groß für ihn. Es rutschte ihm bei der Arbeit von der Schulter und ein dünnes Halskettchen aus Metall kam zum Vorschein. Es sah nicht wertvoll aus, aber Wulf zog das Hemd sofort wieder schützend darüber. Adrian dachte mit Schaudern daran, dass die Räuber den Jungen hatten töten wollen, um an das Kettchen zu kommen.
Elsa war seinem Blick gefolgt. »Er sagte, er habe das Kettchen von seinem Vater«, flüsterte sie. »Mehr ist ihm nicht geblieben.« Ihre Augen glänzten.
Kurz nach Sonnenaufgang brachen sie auf und folgten der Schneise verbrannter Bäume. An einigen hingen noch abgebrochene Äste, von anderen waren nur noch verkohlte Stämme übrig, die wie die Speere einer Geisterarmee zum Himmel aufragten. Wieder andere waren umgestürzt. Der Boden war mit Asche bedeckt, die bei jedem Schritt aufgewirbelt wurde; in der Luft hing ein trüber Schleier, der den Himmel verdeckte und alles grau färbte. Elsa ging neben dem Jungen, Cathbar und Cluaran marschierten voraus und unterhielten sich leise. Adrian ging zum ersten Mal seit Tagen neben Eolande. Die Fay-Frau beachtete ihn nicht, doch bemerkte er erstaunt, dass ihr sonst so ausdrucksloses Gesicht bekümmert aussah. Hin und wieder streckte sie die Hand nach einem Baum aus und berührte die Rinde sacht wie eine Mutter, die ihr schlafendes Kind nicht wecken will.
»Ob die Bäume sich wieder erholen?«, fragte er sie, doch Eolande starrte ihn nur an, als habe sie ein Vogel gerufen.
Je weiter sie kamen, desto schlimmer waren die Bäume beschädigt. Die kahlen Stämme wurden schon bald durch mannshohe Stümpfe abgelöst, dann durch niedrige Stümpfe, deren obere Enden mit weißer Asche beschmiert waren. Auf dem Boden lag die Asche jetzt knöcheltief. Cluaran und Cathbar blieben stehen.
»Dieses Feuer wurde nicht von Straßenräubern gelegt, auch wenn sie es als willkommene Gelegenheit für Überfälle benutzt haben«, sagte Cluaran. Er streckte den Arm aus.
Etwa hundert Schritt vor ihnen, aber deutlich zu sehen, lag eine große schwarze, runde Fläche. An ihren Rändern lag Asche wie Schnee aufgehäuft und jeder kleinste Windstoß wehte sie auf die Fläche hinunter. Diese war deutlich größer als der verkohlte Grundriss von Grufwelds Hütte und nicht von Baumstümpfen umgeben. Offensichtlich war hier schon vor Ausbruch des Brands eine Lichtung gewesen. Aus den traurigen Aschehaufen innerhalb des Kreises ragten verkohlte Balken: Hier hatte einst ein Dorf gestanden.
Elsa blieb mit schreckensweiten Augen neben Cluaran stehen. Wulf watete neben ihr durch die Asche wie durch Schnee. Elsa bückte sich nach etwas, das sie in den schwarzen Trümmern am Rand des Kreises sah, fuhr zurück, wandte sich ab und packte den Jungen.
»Komm, Wulf, weg von hier«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte.
Adrian war ihrem Blick gefolgt und kämpfte nun mit der Übelkeit. Elsa hatte einen verkohlten menschlichen Knochen gesehen.
»Die Asche ist noch heiß«, murmelte Cluaran. Von den Haufen am Rand der Fläche stiegen Rauchfäden in die kalte Luft auf. »Auch das ist bestimmt sein Werk.«
Elsa stand mit dem Rücken zu ihnen am Rand der Lichtung. Sie hielt die Hand des Jungen umklammert und ihre Schultern zuckten. Eolande stand mit
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