Chroniken der Jägerin 3
heruntergebrannt.
Die Frau war inzwischen verstummt, aber ich entdeckte sie, wie sie im Mondschein vor einem schlaffen, zerschmetterten Körper hockte.
Neben den beiden stand Oturu. Sein Umhang und sein Haar wehten anmutig im Wind und waren von silbernem Licht getränkt. Er hielt den Kopf gesenkt, während ihm die Krempe seines schwarzen Hutes tief ins Gesicht hing.
Dann aber blickte er auf und erkannte mich. Doch er sagte kein einziges Wort.
Ich hatte Angst davor, ihn anzusehen, aber noch mehr Angst, einen Blick auf die Frau zu werfen. Sie richtete sich kurz auf. Es raubte mir den Atem und erfüllte mich mit Schmerz.
Meine Mutter, dachte ich. Sie war schwanger. Noch nicht hochschwanger, jedoch schwanger genug, dass ihre Kleidung vorn ausgebeult war.
Aber dann sah ich genauer hin und erkannte, dass ich mich geirrt hatte. Das war nicht meine Mutter. Ihr Gesicht war zwar ähnlich, sie hatte auch das richtige Alter, aber es gab kleine Abweichungen, die niemand außer mir erkannt hätte. So als lauschte man demselben Musikstück in den Versionen zweier Meister und erkannte den Unterschied an nur einem einzigen Ton.
So war es, und es kam noch dazu, dass der ganze rechte Arm der Frau aus Silber bestand.
Meine Vorfahrin. Fünftausend Jahre in der Vergangenheit. Es hätte ebenso gut eine andere Welt sein können. Und ich ein Gespenst zwischen den Zeiten.
Wieder schrie sie, und ihre Stimme kippte in ein Schluchzen um, das so verzweifelt war, so sehr von Schmerz zerrissen, dass ich schon auf die Knie sinken und mein Herz fest zusammenpressen wollte.
Etwas in dieser Stimme klang so vertraut und viel zu nah, um mich unberührt zu lassen. Ich zwang mich dazu, meine Aufmerksamkeit auf die Person zu richten, über die sie ihre Tränen vergoss, auf die Person, die sie mit zitternden Händen berührte, die sie packte und schüttelte, bis sie die Fäuste schließlich ballte und an ihre wogende Brust drückte.
Eine Frau. Ich konnte ihr Gesicht zwar nicht erkennen, aber dann sah ich das lange, dunkle Haar, die Gestalt ihres reglosen Körpers – und wusste es. Ich wusste es einfach.
Mutter. Ihre Mutter .
Rote Augen glitzerten in den Schatten in der Nähe der zwei Frauen. Blinzelten den Hügel hinauf in meine Richtung, zu mir
und den Jungs herüber. Sie hatte uns noch nicht bemerkt, und ich wollte, dass es auch so blieb.
Langsam zog ich mich zurück und kämpfte mit meinen eigenen Tränen. Genauso war der Körper meiner Mutter auf den Küchenfußboden gefallen. Genauso hatte ich neben ihr gekauert und geschrien. Ganz genauso. Ich konnte noch immer die Schreie in meiner Kehle spüren.
Und die Jungs taten dies auch. Rohw und Aaz zitterten an meinen Beinen. Zee taumelte durch das Gras, und Dek stimmte einen klagenden Seufzer an. Meine Jungs. Monster. Könige einer Armee, die Welten zerstörte.
Zum Teufel damit.
Ich drehte mich um und stand einem dunklen Umhang und verschlungenen Haaren gegenüber, die sich wie eine nächtliche Aura um mich herum bewegten. Ich fuhr zusammen, aber nur, weil ich nicht mehr an Oturu gedacht hatte, nachdem ich meine Vorfahrin und ihre Mutter gesehen hatte. Die Welt hätte untergehen können, doch ich hätte es nicht bemerkt.
»Mistress Jägerin«, sagte er, »du solltest jetzt nicht hier sein. Dies ist nicht dein Zeitalter.«
Ich schloss die Augen und schwankte. Und die Strähnen seines Haares streckten sich nach meinem Körper aus und umschlangen ihn. Dann hob er mich in die Höhe, ganz nah an sich heran. »Wer hat ihre Mutter umgebracht?«
Zee stöhnte leise auf, ganz hinten in seiner Kehle. Oturu zögerte.
»Sie hat es getan«, antwortete er.
Ich zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.
»Es passierte ganz plötzlich«, fuhr er fort. »Ein Unfall. Ein Wutausbruch. Ihre Mutter …«
»Hör auf!« Ich wollte ihn wegstoßen, aber meine Hände
versanken in seinem Umhang und berührten eine unvorstellbare Kälte. Rohw und Aaz ergriffen mich an der Taille und zogen mich rasch fort. Als meine Hände aus seinem Körper hervorkamen, fühlten sie sich verbrannt an, allerdings verbrannt von Eis. Ich konnte kaum die Finger biegen. Zee umschloss sie mit seinen Klauen und blies sanft hinein. Sein warmer Atem strich beruhigend über meine Haut.
»Sie ist verrückt geworden«, flüsterte ich. Noch immer hörte ich ihr Schluchzen, das über den Hügel getragen wurde. Es fuhr mir in die Eingeweide. So allein.
Es erschreckte mich zutiefst. Nicht wegen meiner Ahnfrau, sondern meinetwegen. Wenn sie
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