Chroniken der Jägerin 3
mich dazu, ganz ungerührt zuzuschauen, wie Rohw einen ganzen Arm hinunterwürgte, ihn sich einfach in den Schlund stopfte, bevor er ihn dem schreienden Mahati von der Schulter riss. Aaz wühlte sich in die Brust eines anderen Dämons und zerbiss ihn dabei fast in zwei Teile.
Ich rührte mich nicht und verzog keine Miene. In meinem Inneren schrie es, aber mein Herz war aus Stein, weil es so sein musste. Ich war rücksichtslos, denn dies war der einzige Weg, die Leute, die ich liebte, am Leben zu erhalten.
Ich fixierte Ha’an. »Geht verdammt noch mal in den Schleier zurück! Sofort!«
Er hielt meinem Blick etwas länger stand, als es klug war, dann schnipste er mit seinen langen Fingern nach den anderen Mahati, die die Überreste ihrer Jagd und die gerade Getöteten hastig zusammenzuklauben begannen. Am liebsten hätte ich ihnen befohlen, damit aufzuhören und die menschlichen Körper liegen zu lassen, aber mein Instinkt sagte mir genau, wie weit ich gehen durfte. Für diesmal war es genug. Es war nun Zeit, dass Grant und Jack ein Wunder vollbrachten.
»Das ist nicht das Ende«, sagte Ha’an und ließ seinen Blick von mir zu Zee wandern. »Vergib mir, aber wir werden jagen. Wir werden jagen, um zu leben.«
Wir werden mit euch jagen , murmelte die Finsternis. Wir werden die Armeen des Sternenlichts anführen, über den Horizont hinaus, in die Feuer des Krieges und ins Labyrinth, wo die Schatten steigen …
Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte Blut.
»Wir werden jagen«, wiederholte Ha’an, als wollte er es sich selbst bestätigen. »Wir werden überleben.«
»Das werden wir ja sehen«, erwiderte ich ruhig. Ha’an war ein Gigant, der mich mindestens um einen Meter überragte. Außerdem hatte er Muskeln, die ihn mehr als doppelt so breit erscheinen ließen wie mich. Aber in diesem Augenblick fühlte ich mich größer als er, voller brodelnder Energie und in der Gewissheit, dass mein Leben tiefer wurzelte als ein Berg und älter war als ein Stein. Mir gefiel nicht, wo dieses Gefühl herrührte,
aber es war nun einmal da, und ich nutzte es, um Ha’ans Blick standzuhalten und ihn zum Rückzug zu zwingen.
»Königin«, sagte Ha’an ganz leise und berechnend.
Dann drehte er sich um und sprang in den Himmel. Die anderen Mahati folgten ihm.
Ich blieb ganz ruhig und beobachtete sie, bis sie außer Sicht waren.
»Zee«, stöhnte ich.
»Zu Befehl«, schnarrte er und ergriff meine Hand. Meine Knie zitterten. Ich würde umfallen.
Also fiel ich rückwärts. Nach Hause.
Jedenfalls versuchte ich es. Die Rüstung hatte jedoch offensichtlich andere Pläne.
Ich trat aus der Leere ins Mondlicht. Strömendes Mondlicht, das durch die Wolken auf eine dunkle Ebene floss.
Ich hörte eine Frau schreien. Ich roch Rauch. Zee und die Jungs drängten sich an mich und umklammerten meine Hände und Beine.
»Nein«, sagte er. Seine Klauen gruben sich so tief in meine Haut, dass ich fürchtete, er werde mich schneiden. Und dann tat er es auch. Die Berührung mit meinem Blut ließ ihn mit großen Augen vor mir zurückzucken. Ich versuchte, ihn zu greifen, aber er ließ sich nicht anfassen, schüttelte den Kopf und kratzte seine Arme, sein Gesicht und die Augen.
Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich tun sollte, dann aber schrie die Frau wieder, und in ihrer Stimme lag etwas, das wie ein Messer in mich eindrang. Selbst die Dunkelheit schien zu verharren und zu schweigen.
»Nein.« Zee griff nach meiner Hand, als ich mich umdrehte,
um nach der Frau zu sehen. Aber diesmal war ich diejenige, die sich nicht anfassen ließ.
Und ich rannte.
Ich rannte, so schnell ich konnte, ich hatte Angst und das Gefühl, es sei höchste Eile geboten. Mein Herz wummerte bis in meine Kehle hinauf, und die Finsternis in mir schaukelte mit, wurde kleiner und kleiner, so als würde sie sich verstecken. Meine Verbindung zu Grant wurde schwächer, verblasste – und das Band, das uns miteinander verknüpfte, schien so dünn zu werden, als könnte es zerreißen, wenn ich nur einen falschen Atemzug machte. Ich presste mir meine gerüstete Hand an die Brust, als könnte uns das zusammenhalten.
Aber ich hörte nicht auf zu rennen. Die Jungs hetzten wie Wölfe neben mir her.
Auf dem Scheitelpunkt eines kleinen Hügels hielt ich kurz an und sah die qualmenden Überreste von Häusern, die einmal ein kleines Dorf gewesen waren. Ich konnte nicht sagen, wie es vor seiner Zerstörung ausgesehen haben mochte, denn das Feuer hatte längst alles
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