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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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während volle Orangenkisten über den Boden geworfen und an ramponierten Pappkartons vorbeigeschoben wurden, die mit Bergen von Teigwaren gefüllt waren.
    Würstchen zischten, wenn sie neben den Pfannkuchen und Rühreiern auf den metallenen Serviertabletts landeten. Aber fast alle diese Gerüche wurden von dem überwältigend süßen Duft der frischen Zimtbrötchen überlagert, die gerade aus dem riesigen, hohen Backofen geholt wurden. Mein Magen knurrte. Ich brauchte dringend etwas zu essen, und zwar nicht nur für mich, sondern für die Jungs.

    Dabei war mir eigentlich gar nicht nach Essen zumute.
    Grants Gehstock klackte nicht mehr. Ich nahm mir vor, nicht hinzuschauen, aber ich drehte mich trotzdem um und sah, wie er mit den Männern sprach, die die Orangen abgeladen hatten. Es waren massige Kerle mit rauen, schiefen Gesichtern. Ihre Muskeln spannten sich unter ihren regennassen Jacken an. Sie hielten Handschuhe in ihren Händen, mit denen sie ungeduldig auf ihre Schenkel schlugen, weil sie weitermachen wollten. Trotzdem sahen sie Grant respektvoll an. Hörten ihm konzentriert zu.
    Hier gehörte er hin, das wurde mir jetzt klar. Es war sein Obdachlosenasyl, seine Wohnung.
    Grant blickte zu mir herüber. Wieder durchfuhr es mich bis auf die Knochen, als sich unsere Blicke trafen. Wütend und verlegen unterbrach ich unseren Blickkontakt.
    Konzentrier dich, befahl ich mir grimmig. Konzentrier dich, oder du bist zu nichts mehr zu gebrauchen.
    In der Küche sah ich mich nach der Person um, deretwegen ich hergekommen war. Da Jacks Wirt tot war, konnten noch eine Menge Probleme auf uns zukommen. Vielleicht. Möglicherweise. Ich war mir nicht sicher. Jedenfalls wollte ich mich nicht darauf verlassen. Der alte Mann lag oben unter einem Laken. Ich wünschte es keinem, so zu enden. In der Ecke der Küche sah ich ein Mädchen, das Weizenbrote aufeinanderstapelte, die einen Tag alt waren. Ein verblasstes lilafarbenes Kopftuch bedeckte ihre Zöpfe, dazu trug sie eine Patchworkschürze, die sie bestimmt von zu Hause mitgebracht hatte. Ich wusste nicht mal, wie sie hieß, und ich sagte mir, dass es wohl daran lag, dass ich ein Arschloch war, und nicht daran, dass mir meine Erinnerung abhandengekommen war.
    »Hey«, sagte ich, und das Mädchen zuckte keuchend zusammen.
Dann huschte ein zurückhaltendes Lächeln um ihren Mund, als sie mich erkannte. Aber es war eindeutig mit einem Anflug von Nervosität gemischt. Mein großartiger Ruf. Ich konnte mich vage daran erinnern, sie gestern gesehen zu haben, am Rande einer Menschenmenge, die mich beobachtet hatte, wie ich einen Mann erledigte, der zuvor eine Frau belästigt hatte. Er lag auf dem Boden, und ich brach ihm die Nase. Ein Dutzend Leute beobachteten mich dabei verängstigt. Das war dumm und schlau zugleich gewesen. Dumm, weil es die Aufmerksamkeit auf mich lenkte, und schlau, weil ein bisschen Brutalität doch immerhin eine ausgezeichnete Abschreckung war.
    Ich spielte hier so eine Art Mädchen für alles, meistens jedoch war ich zuständig für alles, was irgendetwas mit Muskeln zu tun hatte. Gab es ein Problem mit der Sicherheit, kamen die Leute zu mir. Hatte das Problem mit irgendetwas anderem zu tun …
    Ich konnte mich nicht erinnern. Ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, woher mich diese Leute kannten, nur wusste ich, dass sie es taten. Ich lebte schon seit zwei Jahren hier in diesem Haus. Zwei mysteriöse Jahre, aus ebenso mysteriösen Gründen.
    Ich hörte das Klacken des Gehstocks auf dem Boden und roch den Zimt. Ich sagte mir, dass es vom Ofen kam und nicht von dem Mann, der mir jetzt die Schultern wärmte, ohne mich zu berühren. Er fühlte sich wie ein Radiator an.
    Das Mädchen schaute an mir vorbei, ihr Lächeln wurde süßer und breiter. Ich räusperte mich. »Eigentlich sollte Byron hier sein.« Sie wandte ihren Blick von Grant ab und runzelte die Stirn. »Oh, ich habe ihn nicht gesehen.« Sie drehte sich um und spähte in der Küche umher. »Stimmt, das ist eigenartig, nicht wahr? Er verspätet sich doch sonst nie.«

    Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und steuerte auf die Tür zu. Kaum hatte ich den Flur erreicht, begann ich zu laufen. Grant rief meinen Namen, aber als ich seine Stimme hörte, lief ich nur noch schneller.
    Das Obdachlosenasyl bestand aus einer Reihe von miteinander verbundenen Lagerhäusern. Sie gehörten zu einer ehemaligen Möbelfabrik südlich von Seattles Stadtkern. Es gab Betten für Männer, für Frauen und für

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