Chroniken der Jägerin 3
Blick stand. »Dachtest du etwa, ich hätte gelogen, was mein Erinnerungsvermögen betrifft?«
»Nein. Ich wundere mich nur, dass du dich daran erinnerst, aber nicht an mich.«
»Er hat schönere Haare«, sagte ich und verließ das Schlafzimmer. »Vielleicht liegt es aber auch am Leder.«
Er schnaubte verächtlich. »Wie heiße ich, Maxine?«, rief er mir nach.
Bevor ich weiterging, blieb ich einen Moment stehen. »Zee nannte dich Grant.«
»Gut«, antwortete er sarkastisch, »vergiss das nicht.«
4
A ls Kind hatte ich, von den Jungs abgesehen, nur einen einzigen Freund.
Das war meine Mutter, die einzige Person, auf die ich mich wirklich hatte verlassen können.
Sie war größer als das Leben selbst erschienen, kämpfte mit allen Tricks und Schlichen, war rücksichtslos und gerissen … und dabei die beste Bäckerin aller Zeiten. Ihre Haferflockenkekse konnten Tote zum Leben erwecken. Oder einem kleinen Mädchen das Gefühl geben, geliebt zu werden, zum Beispiel nach einem harten Tag voller Dämonen, auf dem endlosen Weg, der vor ihr lag, und der Gewissheit, dass all dies niemals aufhören werde, dass sich die Tage immer nur noch länger ausdehnen und immer schärfere Zähne bekommen würden.
Dann jedoch starb sie. Fünf Jahre lang gab es nur noch die Jungs und mich. Wir lebten in Hotels und in meinem Auto. Und wir jagten Dämonen.
Allein zu sein war leichter. Kein Risiko, nur die Einsamkeit. Daran ist noch keiner gestorben.
Aber irgendetwas in mir hat sich verändert, dachte ich, während ich mich der Küche des Obdachlosenheims näherte. Etwas hatte sich verändert, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, was es war. Ich konnte mich nicht erinnern,
warum ich mir hier eine Bleibe gesucht hatte, obwohl doch alles, wozu ich erzogen worden war, mir zuschrie, dass ich das auf keinen Fall tun sollte.
Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass es etwas, vermutlich sogar alles, mit dem Mann zu tun haben musste, der da schweigend und mit grimmigem Gesicht hinter mir weiterhumpelte.
Grant. Ich hatte ihm gesagt, dass er nicht kommen solle. Ich wollte keine Gesellschaft. Schon gar nicht seine. Viel zu früh. Er trug saubere Kleidung. Genau wie ich. Handschuhe, Rollkragenpullover. Ich war vom Hals abwärts bedeckt und zeigte nur selten meine Tätowierungen. Es beschwor zu viele Fragen herauf, wenn sie nachts plötzlich verschwunden waren.
Ich sah ihn an und wandte meinen Blick dann schnell ab. Jedoch zu spät. Er hatte es schon bemerkt. Er humpelte ein bisschen schneller und beugte sich vor. »Sieh mich nicht so an. Ich habe versucht, dich zu warnen.«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
»Wir teilen uns eine Schublade für die Unterwäsche«, flüsterte er knapp. »Saubere Unterwäsche, sicher. Davon geht die Welt nicht unter.«
»Hab ich irgendwas gesagt?«
»Ich glaube, deine Augen bluten.«
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. »Später. Lass uns nicht hier in der Öffentlichkeit darüber reden.«
»Wirst du mich jemals wieder an dich heranlassen?«, fragte Grant in einem harten, unnachgiebigen Ton. »Wirst du es je wieder zulassen, mit mir allein zu sein?«
Eine Hitzewelle stieg mir ins Gesicht. Ich war schon eine harte Frau, mit Dämonen bedeckt. Ich war es gewohnt, mich mit Monstern abzugeben. Sex mit einem Unbekannten … und
ich ging davon aus, dass wir tatsächlich miteinander geschlafen hatten, das bedeutete noch gar nichts. Also wirklich. Auch wenn ich mich nicht einmal daran erinnern konnte, jemals mit irgendeinem Mann geschlafen zu haben.
Absolut nicht. Ich hatte nicht mal einen geküsst.
»Mist!«, stieß ich hervor. Köpfe drehten sich nach mir um, aber als die freiwilligen Helfer erkannten, dass ich es war, wich der besorgte Ausdruck aus ihren Gesichtern. Stattdessen sahen sie sich beinahe resigniert an, was man fast herablassend hätte finden können. Ich zeigte ihnen meinen Mittelfinger.
Grant zuckte nicht mal mit der Wimper, aber seine Lippen wurden irgendwie weicher. »Ah. So kenne ich doch mein Mädchen.«
Hastig drehte ich mich um. Es lag an seinem Tonfall. Dieser Humor, der unter der Härte und dem Zorn vergraben war. So kenne ich doch mein Mädchen. Mein Mädchen. Die Worte sickerten in die kleinen Risse meines Herzens. Sie sickerten wie eine Tonne Ziegelsteine da hinein. Ich hätte mich am liebsten übergeben.
Die Küche sah aus, wie ich sie in Erinnerung hatte, was mich etwas beruhigte. Journey blaffte die Leute an, und ruppige Stimmen schrien durcheinander,
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