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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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Familien. Zu diesem Heim gehörten außerdem eine kleine Kindertagesstätte und ein Job-Trainingszentrum. Außerdem verfügte das Coop auch noch über einen zweiten Flügel mit Kurzzeit-Apartments, die für Sonderfälle reserviert waren.
    Byron war so ein Sonderfall.
    Sein Zimmer befand sich am Ende des Flurs. Ich rüttelte an der Tür, vernahm drinnen aber kein Geräusch. Ich zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und hörte das gedämpfte Klacken eines Gehstocks im Treppenhaus. Es war einfach lächerlich, vor einem Mann mit einem kaputten Bein davonzulaufen; es war ganz albern, überhaupt zu versuchen, vor ihm zu fliehen.
    Du lebst mit ihm , sagte ich mir, während ich die Tür vor mir aufschloss. Er kennt deine Geheimnisse. Du wirst die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen haben. Und die Jungs würden ihn kaum tolerieren, wenn sie ihn nicht mögen würden.
    »Mist«, sagte ich noch einmal und öffnete die Tür.
    Drinnen war es dunkel. Etwas frische Luft wäre schön gewesen. Der Raum war wie ein Standard-Hotelzimmer eingerichtet: Es gab ein Bett, einen Kleiderschrank, ein Fenster und eine Toilette neben der Eingangstür. Die Wände waren mit Kinoplakaten beklebt: Hellboy, Blade Runner und noch ein paar andere, die Byron und ich in den letzten paar Monaten aufgelesen hatten. Auf seinem Tisch lagen Bücher gestapelt, die wiederum
von Papierstapeln umgeben waren. Kein Computer. Byron bevorzugte handschriftliche Notizen – und mir war es egal, ob er mit dem Internet zurechtkam oder ob er überhaupt tippen konnte. Ich wollte nur, dass er etwas lernte. Ich war zu Hause unterrichtet worden, und irgendwie hatte es sich so ergeben, dass ich dasselbe jetzt für ihn tat. In Geschichte und Mathematik war er richtig gut, und ich bezweifelte ernsthaft, dass irgendein sogenannter Student mit seinem Verstand und seiner Reife mithalten konnte.
    Der Knabe lag noch immer im Bett. Ich brauchte gar nicht erst das Licht anzuknipsen, um ihn zu sehen. Er schlief, aber sein Schlaf musste unruhig gewesen sein, denn seine Bettdecke war halb zur Seite gerutscht, und an seinem Zeh hing eine Socke. Er trug noch immer sein weißes T-Shirt mit dem Shakespeare-Logo.
    Im Eingang tauchte Grant auf. »Ist er okay?«
    Warnend hob ich meine Hand und kniete mich neben das Bett. Die Wangen des Jungen, die sonst die Farbe ausgebleichter Knochen hatten, waren gerötet. Ich streifte meinen Handschuh ab und berührte seine Stirn. Ich fühlte die Hitze durch meine Tattoos hindurch. Eine viel zu starke Hitze.
    Ich rieb seine Schultern und sah, wie seine Lider zuckten. »Er hat Fieber.«
    Im Badezimmer wurde ein Hahn aufgedreht. Wasser rauschte. Als Grant zurückkam, hielt er einen nassen Lappen in seinen bandagierten Fingern. Ich legte dem Jungen den Lappen auf die Stirn und strich ihm sein dunkles Haar zurück. Ich spürte eine gewisse aufgeregte Besorgnis, bei der ich – und zwar nicht zum ersten Mal – daran dachte, wie es wohl wäre, Mutter zu sein.
    »Woher wusstest du das?« Grant klang sanft.

    »Ich wusste es nicht. Aber er und Jack …« Ich hielt inne, denn irgendwie kam ich noch immer nicht mit der Tatsache klar, dass dieser Mann ein Fremder war, egal wie man es drehte und wendete. Ich war zwar kein Kind mehr, aber Sprich nicht mit Fremden  – das klang in meinen Ohren immer noch wie ein guter Rat. Das war viel sicherer, machte einem weniger Kopfschmerzen, und man brauchte sich dafür auch nicht anzustrengen.
    Grant ließ seinen Blick lange auf mir ruhen. »Jack hat an dem Jungen herumexperimentiert. Hat ihm Unsterblichkeit verliehen und chronischen Gedächtnisverlust. Wir haben nie herausgefunden, warum er das getan hat oder wann … aber nach allem, was uns Zee erzählt hat, geschah es lange bevor Pompeji in Feuer und Asche unterging.« Er deutete auf die Wand. »Reicht dir das fürs Erste? Dann kannst du ja jetzt damit anfangen, mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern.«
    »Klugscheißer.«
    »Wenn wir in der umgekehrten Lage wären …«
    »Hör auf …«
    »… und ich dich nicht kennen würde …«
    »Es wäre mir egal.«
    Grant beugte sich herunter und hielt meinen Blick gebannt. »Ich wäre auch vorsichtig, Maxine. Aber ich würde nicht … absichtlich die Augen verschließen.«
    Aus irgendeinem Grund trafen mich diese Worte. Warum auch immer. »Halt mir keine Vorträge.«
    »Stoß mich nicht zurück. Noch nicht, jedenfalls.«
    Ich blickte auf meine Hände und dann auf den Jungen. Ich wollte ihm sagen, dass es noch nicht

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