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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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richtig dunkel. »Mir geht’s nicht gut, Maxine.« Er kratzte sich den Hals und dann die Brust.
    Ich habe Angst, schien er mir sagen zu wollen. Ich habe Angst.
    Ich dachte an Jack, der tot auf meinem Fußboden lag. In seinem Blut aufzuwachen und zu sehen, dass seine Kehle durchgeschnitten worden war … mein Großvater. Mein Großvater – ermordet. Und ich hatte es nicht verhindern können. Schlimmer noch, ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wie es geschehen war.

    Ich kniete nieder und presste meine Lippen fest auf Byrons Stirn. Ich schmeckte sein Fieber. Der Junge hielt den Atem an, als ich ihn berührte, dann umschlangen seine Arme meine Schultern, und auch ich hielt den Atem an.
    »Alles wird gut«, flüsterte ich.
    Seine Finger gruben sich tief in meine Schultern. »Das sagst du immer.«
    »Weil du zu mir gehörst.« Ich konnte meine eigene Stimme kaum hören, wusste nicht, warum ich so was gesagt hatte, außer vielleicht weil ich Angst hatte, auch noch den Jungen zu verlieren. Zuerst meinen Großvater und dann Grant, den Mann, den ich angeblich liebte. Fort. Mein Leben zerbröselte langsam in tausend Stücke.
    »Du gehörst zu mir«, wiederholte ich bockig. »Dir wird nichts geschehen.«
    »Okay«, flüsterte Byron und klopfte mir auf die Schulter. »Ich bekomme keine Luft.«
    Ich ließ ihn los und stand auf. Ich wollte erst nicht zurückschauen, aber dann tat ich es doch, und ich fühlte mich schrecklich und vom Kummer überwältigt, als ich den Jungen sah. Byron hatte die Augen schon wieder geschlossen, und einen Moment lang stellte ich mir vor, er wäre kalt und tot. Grant trat zwischen uns und presste seinen Mund auf mein Ohr.
    »Du machst dem Jungen Angst, wenn du ihn so ansiehst.«
    Ich zog den Kopf ein und verließ das Zimmer. Ich blieb nicht eher stehen, bis ich draußen im Hausflur angekommen war. Und dann ging ich immer weiter. Oben im Treppenhaus holte Grant mich ein. Er schwieg. Und ich ebenfalls.
    Wir verließen das Gebäude. Niemand hielt uns auf. Ich ging zu meinem Wagen, atmete die kühle feuchte Luft tief ein und
genoss den Regen auf meinem Gesicht. Regen fühlte sich immer so wunderbar wirklich an.
    Ich fuhr einen kleinen roten Mustang im klassischen Design, der wie ein polierter, kirschroter Edelstein im morgendlichen Glanz Seattles aussah. Ich stieg ein. Grant ebenfalls. Ich griff nach dem Steuer und sagte: »Du hast gar nicht gefragt, wo ich hinfahre.«
    Er wischte sich den Regen aus dem Haar. »Ich will dich im Auge behalten.«
    »Und wenn ich dir keine Wahl lasse?«
    Ein Lächeln huschte über seine Lippen … aber es wirkte nicht freundlich. »Fahr einfach los, Maxine.«
    Das tat ich dann auch. Ich setze ruppig zurück, trat das Gaspedal ins Bodenblech und kurbelte mächtig am Steuer, als wir vom Parkplatz auf die Straße brausten, wobei wir nur knapp an einem geparkten Lieferwagen und einem Mann, der gerade ausstieg, vorbeischossen. Er brüllte auf, ich rutschte tiefer in den Sitz hinein und drehte das Autoradio lauter. Eye of the Tiger dröhnte aus den Lautsprechern. Grant warf mir einen Seitenblick zu, seine Mundwinkel zuckten.
    »Was ist?«, knurrte ich.
    »Nichts ist«, erwiderte er und drehte das Radio weiter auf, bis ich den Bass in meinem Brustkorb spürte. Die Jungs auf meiner Haut begannen im Rhythmus der Musik zu pulsieren.
    Fünfzehn Minuten später erreichten wir das Thunderdome .

5
    D as Thunderdome war eine Bar, wo Yuppies und reiche College Kids hingehen konnten, wenn sie sich mutig fühlen wollten, ohne gleich Gefahr laufen zu müssen, auf dem Weg zur Toilette abgestochen zu werden. Die Karaoke-Nächte an den Samstagen waren besonders beliebt und verführten förmlich zu volltrunkenen Showeinlagen, wie auf den Tresen zu springen oder mit vollen oder leeren Gläsern nach anderen Gästen zu werfen.
    Was im Übrigen nicht nur an den Wochenenden, sondern fast jede Nacht geschah, wenn die Kneipenwirtin persönlich die Gelegenheit beim Schopfe packte, jede Menge Haut zu zeigen, während sie die Drinks zwischen ihren Brüsten servierte.
    Der Laden hatte erst vor wenigen Monaten eröffnet, aber jedes Mal, wenn ich herkam, war er brechend voll.
    Heute jedoch war Donnerstagmorgen, und der Bürgersteig davor roch nach Erbrochenem. So wie auch der junge Mann, der in Jeans und Kaschmirjackett – von einem Hemd war nichts zu sehen – ausgestreckt im Eingang lag und schnarchte. Ich stieß ihn vorsichtig mit der Spitze meines Cowboystiefels an, aber er stöhnte nur

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