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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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das bei meiner Großmutter getan.«
    »Ja«, antwortete der Mann vorsichtig. »Du hast mir davon erzählt. Du hattest eine Zeitreise angetreten, um ihr zu helfen. Damit.« Er zeigte auf meine Fingerrüstung. »Danach hat ihr Zee die Erinnerung an dich geraubt.«
    Ich atmete langsam aus. »Wenn ich nicht gesehen hätte, wie sich die Jungs in Ihrer Gegenwart verhalten …«
    »Du machst mir keine Angst«, unterbrach er mich, »wenn sich die Jungs nicht an mich erinnert hätten …«
    »Dann würde Ihnen jetzt eine Hand fehlen, wenn nicht sogar mehr.« Ich ging in Richtung Schlafzimmer. Meine Sohlen klebten auf dem Boden und hinterließen blutige Abdrücke. Ich trat durch die geöffnete Tür, schaltete das Licht an… und schwankte ein wenig, als ich das zerwühlte Bett und auf dem Boden die verstreute Kleidung liegen sah, meine und die eines Mannes. Ich ging weiter zum Badezimmer. Unter dem Waschbecken befand sich ein Verbandskasten. Ich wunderte mich nicht, warum ich wusste, dass er dort war. Aber er war eben da, und ich erinnerte mich daran.

    Ich legte das Messer zur Seite und wusch mir die Hände, obwohl es eigentlich gar nicht nötig war. Ich sah einen Rasierer, eine Dose Rasierschaum und einen schwarzen BH, der an der Türklinke hing. Da befanden sich zwei Garnituren Handtücher und ein Paar schmutzige Herrensocken, die neben dem Wäschekorb lagen; zwei Zahnbürsten in einem potthässlichen Becher, der die Form des Kopfes der Freiheitsstatue hatte – du warst in einem Flugzeug auf dem Weg nach New York City, zum ersten Mal, um einer alten Frau zu helfen und einem alten Mann, und du hast dieses Ding am Flughafen gekauft, weil, warum … warum … weil jemand dir sagte, dass du das tun solltest, einfach so aus Spaß, und du lachtest, aber nicht allein, du warst nicht allein, und jedes Mal, wenn du das Ding ansiehst, fällt dir ein, dass du gelacht hast, und du lächelst wieder  … ich musste auch jetzt lächeln, wie ich bemerkte, und fuhr mir mit dem Handrücken hastig über den Mund.
    Ich kam mir vor wie in einer anderen Welt. Twilight Zone. Ich verlor meinen Verstand und die Orientierung. Es gab auch noch andere Dimensionen. Vielleicht war ich in eine von denen hineingerutscht. Ich könnte die ganze Schuld genauso gut auf interdimensionale Reisen schieben, angefangen bei meiner ersten Urahnin und den Kreaturen, die vor Millennien auf die Erde gekommen waren und sie geschaffen hatten.
    Meine Überlegungen halfen mir aber nicht weiter. Ich sah verheerend aus: verfilzte schwarze Haare, blasse Haut und tiefe Ringe unter den Augen. Ich schob die Haare nach hinten und betrachtete die Narbe unter meinem Ohr. Ich versuchte es jedenfalls. Sie war unter einem der Jungs versteckt und bestand aus einem tätowierten Schwanz, der unter meinem Haaransatz hervorragte, um ein paar verschlungene Linien, die in meine Haut geätzt waren, zu verdecken. Ich hatte sie einem Dämon zu verdanken, der mich damit gezeichnet hatte.

    Ein unverwechselbares Mal, eines, das Jack und auch anderen Angst gemacht hatte. Eine Vorfahrin von mir hatte dieselbe Narbe getragen, als Geschenk desselben Dämons, dem auch ich sie zu verdanken habe.
    Oturu. Ein Wesen, das aus Nacht, aus Messern und Albträumen geschaffen war. Ich träumte manchmal von ihm, aber in diesen Träumen war ich immer jemand anders, eine andere Frau, und da gab es immer Blut und Tod und Verfolgungsjagden, die so lang waren, als führten sie von einem Stern zum anderen.
    Oturu hatte mich gezeichnet, weil ich ihn, wie er sagte, an eine meiner Ahnfrauen erinnerte: an die Frau aus meinen Träumen. Was nicht gerade ein Kompliment war, denn meinem Großvater zufolge war das Netteste, was man über sie sagen konnte, dies: dass sie die Welt nur fast zerstört hatte.
    Ich presste den Verbandskasten an meine Brust und verließ das Badezimmer. Der Mann lehnte an der Tür des Schlafzimmers und wartete auf mich, in lockerer Haltung und entspannt, abgesehen von seinen Augen. Sie waren wie die eines Wolfes, das fand ich jedenfalls. Wie die einer anderen Art von Jäger eben.
    »Ihre Hand«, sagte ich.
    »Jack«, gab er zurück.
    »Der kann warten. Wie Sie bereits sagten, er ist ja nicht tot.« Fast hätte ich diese Worte nicht herausgebracht. Ich musste mich zwingen, sie auszusprechen, und es klang, als hätte ich einen Sprachfehler. »Vielleicht sucht er nur nach einem anderen Körper.«
    »Hoffentlich nicht in einer Gebärmutter. Es wäre mir lieber, wir müssten nicht warten, bis er

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