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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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tot, na und? Das wird sich auch wieder ändern. Wahrscheinlich schwebt er in diesem Augenblick schon wieder über unseren Köpfen. Also scheiß auf ihn.«
    Nein, dachte ich. Scheiß auf dich .
    Grant räusperte sich. »Vielleicht kann ich etwas für Frank tun.«
    »Niemand braucht deine Art von Hilfe.« Killy zeigte auf eine Tür am Ende des Flurs. »Aber vermutlich zählt der Versuch mehr als das Ergebnis, hm?«
    Er presste die Zähne zusammen. Ob aus Wut oder nur aus Verblüffung, das konnte ich nicht sagen. Ich fragte mich, was genau sie wohl damit gemeint hatte. Was konnte Grant denn tun, dass Killy sich und Frank so sehr vor ihm schützen wollte? Was auch immer es sein mochte, mich hatte es auf der zwischenmenschlichen Ebene offenbar nicht gestört. Nicht, wenn ich tatsächlich jemals … zuckersüß … mit ihm gewesen war.
    Zuckersüß. Na klar.
    Ich versuchte mich zu erinnern. Ich dachte an Mary, an Rex, an das Schlafzimmer mit dem zerwühlten Bett. Ich kämpfte mit mir, um mich wieder zu erinnern, warum ich eigentlich im Coop gelebt hatte. Warum ich aufgehört hatte wegzulaufen
und mich endlich niedergelassen hatte, und zwar ausgerechnet hier, im verregneten Seattle.
    Doch jedes Mal, wenn ich gerade dachte, es würde mir gleich einfallen, stürzte ich in dieses Loch in meinem Kopf und meinem Herzen zurück, in dieses gähnende schwarze Loch. Es war eine Leere, eine Wundheit, als hätte eine raue Hand einen Faden gepackt, diesen Mann, und ihn willkürlich herausgerissen, ohne Rücksicht auf das, was übrig bleiben würde. Es war schon schlimm genug, dass ich mich nicht an die Umstände des Mordes an meinem Großvater erinnern konnte. Aber das würde sicher ein Einzelfall bleiben, und die Erinnerung daran würde mit der Zeit zurückkehren.
    Dachte ich jedenfalls.
    Mit Grant aber schien es, als ob jemand versucht hätte, seine komplette Existenz aus meinem Geist zu löschen. Alles. Ohne dabei darüber nachzudenken, wie viele Ungereimtheiten daraus entstehen würden.
    Grant humpelte voran. Ich beobachtete ihn und sog jedes Detail in mich auf: die breiten Schultern unter seinem Jackett, der schlanke Körper, sein schöner Hintern. Fremd, sicher, aber schon auch knackig.
    »Ihn anzustarren wird dir auch nicht helfen«, murmelte Killy. »Keine von uns beiden wird Sex mit ihm haben.«
    Ich blinzelte. »Wie bitte?«
    Sie sah mich streng an, aber mittlerweile standen wir sehr nah beieinander – und so konnte ich sehen, dass ihre Augen blutunterlaufen waren und ihre Mundwinkel vor Erschöpfung herunterhingen. Sie hatte wohl auch eine schwere Nacht hinter sich.
    »Du suchst nach einem Auslöser. Falls nicht, wird das noch kommen. Etwas, das deine Erinnerung wachrütteln sollte. Aber
ihn anzustarren wird nicht reichen, und Sex ebenso wenig. Das Erste ist zu distanziert, das Zweite zu intim.«
    »Also, was hilft dann?« Ich verschränkte die Arme und spürte Zee, der zwischen meinen Brüsten schlief und sich in seinen Träumen bewegte. Die Fingerrüstung meiner rechten Hand fing zu prickeln an. »Was soll ich machen?«
    »Lass dir Zeit«, sagte sie, als Grant das Ende des Flurs erreicht hatte und leise mit seinem Handrücken an die Tür klopfte. »Denk gar nicht drüber nach. Folge nur deinem Gefühl. Erinnerungen gehen niemals verloren. Dazu ist das Gehirn viel zu komplex. Du kannst etwas vergraben, es verstecken oder auch verdrängen, aber es ist trotzdem immer noch da.«
    »Ich kann mich nicht an ihn erinnern«, sagte ich nur, als Grant sich nach uns umdrehte. Sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar, aber vielleicht lag es auch nur daran, dass ich noch nicht genug Zeit mit ihm verbracht hatte, um seine Stimmungen und das, was sie bedeuteten, zu erkennen – in Momenten, wenn er mich so ansah. Einfach so, mit glänzenden Augen, fest entschlossen und mit leicht hochgezogener Augenbraue.
    Ich sah nicht weg, bis er es tat. Es dauerte eine Weile. Es war kein Kräftemessen, eher ein gegenseitiges Abschätzen. Ich fühlte mich von ihm beobachtet, als könnte er mich allein durch seinen Blick in all meine Einzelteile zerlegen. Ich hasste dieses Gefühl, aber ich konnte ihm ja schlecht seine Augen entfernen oder ihn bewusstlos schlagen. Ich konnte höchstens verschwinden, um zu verhindern, dass er mich so ansah.
    Und vielleicht war das ja auch genau mein Problem. Ich war niemals zuvor gesehen worden. Nie wirklich und tief.
    Endlich brach er den Blickkontakt ab. Starrte nachdenklich ins Nichts und in die Ferne. Dann

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