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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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leise und wischte sich ein paar getrocknete Getränkereste und Überbleibsel seines Abendessens – Broccoli mochte dabei gewesen sein, vielleicht auch ein paar Hamburger – vom Kinn.

    »Von heute an werde ich nie wieder etwas essen«, erklärte ich, »nie wieder.«
    »Und ich glaube, ich werde Alkoholiker«, gab Grant zurück, während er die Klingel neben der Tür drückte. »Ich werde einen Hang zu Wodka entwickeln, zum Hafen runtergehen und mir von den Matrosen russische Lieder beibringen lassen.«
    »Das hat meine Mutter mal gemacht.« Ich hielt inne und betrachtete die mit Vorhängen versehenen Fenster im zweiten Stock. »Sie nahm mich mit, als ich dreizehn war, und ich lernte Poker – von einem einäugigen Riesen, der keine Zähne mehr hatte und dessen Atem wie ein Karton voll stinkender Achseln roch.«
    Grant sah mich an. »Diese Geschichte kenne ich noch gar nicht.«
    »Ausgezeichnet«, gab ich zurück, während wir auf der anderen Seite der zerschrammten Kneipentür Schritte hörten. »Ich bin froh, dass ich wenigstens noch ein paar letzte Geheimnisse habe.«
    Man hörte, wie sich der Schlüssel drehte, dann wurde die Tür geöffnet. Eine Frau steckte ihren Kopf heraus. Sie war kleiner als ich, schien aber fast nur aus Beinen zu bestehen, was man wegen ihrer abgeschnittenen Jeans deutlich erkennen konnte. Die Hose war so kurz, dass ich die Spitzen ihres rosa Slips sah. Dazu trug sie kirschrote Stiefel und ein verblichenes rosa Sweatshirt, das etwas zu groß war und ihr deshalb von der Schulter rutschte. Sie hatte kurze, schwarze Haare und Sommersprossen auf der Nase. Sie war ohne jeden Zweifel überwiegend Chinesin, aber irgendetwas anderes hatte sich bestimmt noch in ihr Blut gemischt.
    »Wer ist gestorben?« Bei ihrer Frage sah sie mich an.
    »Das ist nicht witzig«, antwortete ich.

    »Allerdings nicht«, erwiderte sie. »Also, wer zur Hölle ist nun tot?«
    »Killy«, grummelte Grant und stieg umständlich über den betrunkenen Mann, »es ist Jack.«
    Sie machte kein sonderlich bekümmertes Gesicht und gab die Tür frei. »O Mann. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«
    Das war zwar keine Frage, aber es überraschte mich auch nicht, dass sie schon davon wusste. Es war ja auch genau der Grund, warum ich hier war. Ich mochte zwar über und über mit Dämonen bedeckt sein, aber Killy hatte ihre eigene Gabe … Eine Nebenwirkung des uralten Versuchs, an menschlicher DNA rumzupfuschen.
    Götter und Monster, hatte Jack mal gesagt. Helden und Märchen und merkwürdige Legendenwesen: Sie existierten tatsächlich, von Wesen erschaffen, die zu viel Macht besaßen. Von Kreaturen, die nach dem Krieg mit den Dämonen fast alle die Erde verlassen hatten.
    Jack war einst einer dieser Götter gewesen. Ich nahm an, er war es immer noch. Alter Jack. Alter Wolf.
    Dass sich Killy und Grant kannten, hatte ich nicht vergessen.
    Sie kannte ich seit etwa sechs Monaten. Wir hatten uns zum ersten Mal in Shanghai getroffen, während einer besonders schaurigen Begegnung mit einer Kreatur von Jacks Art … einem Avatar, der aus seinem Gefängnis auf der Erde entlassen worden war und nun anfing, genetische Experimente an Menschen durchzuführen. Vollkommen skrupellos erschuf er dabei neue Monster.
    Im selben Augenblick, als mir die Geschichte mit Shanghai wieder einfiel, erinnerte ich mich aber auch, dass ich nicht wegen
Killy in der Stadt gewesen war. Auch nicht wegen des Avatars. Ich konnte mich einfach nicht erinnern, warum… und das Loch in meinem Herzen wurde dabei noch größer und kälter. Ich sah Grant an und bemerkte, dass auch er mich musterte. Killy starrte uns beide an.
    »Wow«, sagte sie, »das ist hart.«
    »Hör gefälligst auf, meine Gedanken zu lesen«, entgegnete Grant und riss seinen Blick von mir los. Doch ich hatte den Anflug von Trauer in seinen Augen erkennen können. Sie waren traurig, irgendwie klein und trauernd. Durch das scharfe Lächeln, das er Killy zuwarf, verbarg er es gut, aber es ging mir nicht aus dem Kopf. Und schmerzte.
    Drinnen war es dunkel und kalt. Dabei roch es nach vollen Aschenbechern und Vanille. An den Wänden befanden sich holzverkleidete Nischen mit Eisengittern davor. Die restlichen Tische, die sich in dem kleinen Raum drängten, waren rund, eckig, lang und kurz – und standen so kreuz und quer durcheinander, dass man kaum dazwischen hindurchgehen konnte. Die Bar war etwa einen Meter tief und verlief beinahe über die gesamte Länge des Raums. Der Tresen war

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