Chroniken der Jägerin 3
sein Haar am Schädel. Er sah mich an und dann an mir vorbei zu der Frau am Boden hinüber. »Was …?«, begann er, doch sie gab ein hässliches, würgendes Geräusch von sich, während sie ihn anstarrte, als sähe ein normaler Mensch ein Monster, ein kleines grünes Männchen aus dem Weltall oder einen Osterhasen, der eine Kettensäge schwang: entsetzt, geschockt und vollkommen ungläubig. Plötzlich schien sie sogar jünger auszusehen. Meine Hände fühlten sich schmutzig an, weil ich sie verletzt hatte.
»Lichtbringer«, keuchte sie, »Missgeburt.«
Ich stieß Grant zur Tür zurück. »Verschwinde.«
Er taumelte und blickte über meinen Kopf hinweg die Frau an.«Maxine. Sie ist…«
»Geh!«
»… wie ich«, beendete er den Satz.
Die Botin schrie ihn an. Nicht aus Furcht oder Schmerz – sondern zornig. Ihre Stimme klang wie das Aufheulen einer elektrischen Gitarre, unmenschlich, wild und nicht von dieser Welt. Als sie den Schrei hörten, bewegten sich die Jungs in Wellen über meinen Körper.
Marys Körper zuckte noch einmal und schien dann vollends außer Kontrolle zu geraten. Grant schob mich so brutal beiseite, dass er dabei fast seinen Gehstock verloren hätte. Wieder taumelte er, aber dann fing er sich und erhob seine Stimme.
Er rief nur ein einziges Wort, aber als es aus seiner Kehle emporstieg, wurde sein Klang so mächtig wie ein Donnern. Wie zur Antwort spürte ich ein Ziehen in meinem Herzen, so als sei mein Körper mit der Macht in seiner Stimme verbunden. Ich erinnerte mich an das, wovon er gesprochen hatte: Ich sehe Energie, die Auren der Menschen, ich kann Menschen manipulieren. Ich fuhr herum, starrte die Frau an, die ihn noch immer anschrie. Sie schrie, als brauchte sie nicht zu atmen.
Ich hatte ihr das Genick gebrochen, ich hatte es knacken hören, hatte gesehen, dass sie gelähmt war. Und doch bewegte sie sich jetzt wieder. Ihre Hände zuckten, und ihre Beine zitterten. Mary war noch immer bewusstlos. Der Atem rasselte in ihrer Kehle. Ihr Anfall war vorbei, aber sie verwelkte sichtlich, als hätte ihr jemand ein Rohr ins Herz gerammt, um ihr das Blut und alle Lebensenergie herauszusaugen.
Ihr wurde das Leben gestohlen, um jemand anderen damit zu heilen.
Grant knurrte. Ich durchmaß den Raum mit zwei Schritten,
warf mich auf die Botin und rammte ihr mein Knie in die Brust. Dann hörte ich Knochen brechen. Ich schlang meine Hände um ihre Kehle. Ihre Stimme erstarb. Ein kleiner Teil von mir schrie auf und schrie weiter, als ich sie würgte. Und ich selbst schrie, als wäre ich ein kleines Mädchen, das gerade einen Horrorfilm ansieht. Aber ich biss die Zähne zusammen und hörte nicht auf.
Sie schaute zu mir hoch. In ihren Augen war keine Furcht zu lesen. Nur ein Versprechen. Und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sie ziemlich gut darin war, ihre Versprechen auch zu halten.
Es überraschte mich nicht, dass sie plötzlich verschwunden war und mich mit leeren Händen zurückgelassen hatte. In meinen Ohren klingelte jetzt die Stille. Allerdings überraschte es mich, wie enttäuscht ich darüber war, dass ich sie nicht schon früher umgebracht hatte.
Ein Fehler, den ich allerdings wiedergutmachen konnte. Meine linke Hand schloss sich über meiner rechten, und ich packte die Rüstung ganz fest. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich mit aller Kraft auf die Frau. Ich musste ihr folgen. Ich musste diese Sache für uns alle zu einem Ende bringen. Eis stach aus dem Metall in meine Knochen; Eis, das zu Feuer wurde und mir in das Mark meiner Finger und Handgelenke fuhr. Ich bereitete mich vor.
Aber nichts geschah. Ich glitt nicht in die Dunkelheit hinein.
Ich öffnete meine Augen wieder und betrachtete meine Rüstung. Mir war nie ganz bewusst gewesen, was ich eigentlich tat, wenn ich sie benutzte. Es war reiner Instinkt. Ein Antrieb, Hunger. Sie hatte mir immer gegeben, was ich am nötigsten brauchte. Aber was ich brauchte und was ich wollte, das waren nicht immer dieselben Dinge gewesen.
Ich musste diese Frau töten. Ich musste sie umbringen, bevor sie irgendjemand anderen verletzen konnte. Das duldete keinen Aufschub.
»Tu mir das nicht an«, sagte ich zu der Rüstung. »Nicht jetzt.«
Die Rüstung pulsierte zweimal. Es war, als sage sie: »Leck mich!«
Ich versuchte es noch einmal, konzentrierte mich auf meinen Wunsch, schüttelte sogar meine rechte Faust, so als wäre das die Zauberformel. Aber ich erreichte nichts. Man hatte mir bereits gesagt, dass die Rüstung ihren
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