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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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bestimmen. Als sich das Licht leicht veränderte, hätte ich sie auch für einen Mann halten können.
    Jedenfalls stammte sie nicht von dieser Welt. Ich wusste das mit der gleichen Sicherheit, mit der ich auch Wasser und Feuer voneinander unterscheiden konnte.
    Ihre zuckenden Augenlider beruhigten sich allmählich, schlossen sich und öffneten sich ganz langsam wieder. Wie bei einer Eule.
    Dann sah sie mich an. Unwillkürlich straffte ich mich und war froh, dass die Jungs so schwer auf meiner Haut lagen. Ich hatte es schon mein ganzes Leben lang mit Durchgeknallten zu tun gehabt, mit Verrückten und mit Gefährlichen, aber diese Frau hatte etwas in ihrem Blick, das mich im Inneren ganz klein fühlen ließ. Klein und kalt. Diese Frau sollte besser niemandem zu nahe kommen, der mir etwas bedeutete, nicht einmal den Toten.
    »Bannwächterin«, sagte sie. »Hier liegt die besudelte Haut unseres Schöpfers, du aber lebst. Erklär mir das.«
    Das hätte ich ja gern getan, nur verstand ich nicht, warum sie
nicht Mary fragte, schließlich war sie es doch, die mit Messern in der Hand herumstand.
    Ich ging auf die Frau zu, lautlos, bis auf die hallenden Schritte meiner glimmenden Stiefelabsätze auf dem Boden. Die Jungs bewegten sich auf meinem Gesicht, gerade so, dass mein Mund und meine Nase wieder frei wurden. Kühle Luft flutete in meine Lungen hinein. Ich befeuchtete mir die Lippen; sie schmeckten nach Eisen. Die Frau wandte ihren Blick nicht von mir ab. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während sie ihre dünnen Lippen zu einem scharfen Strich zusammenpresste.
    »Antworte!«, herrschte sie mich an. Vor Überraschung blieb ich wie angewurzelt stehen. Ihre Stimme klang ganz anders. So als hätte sie ihre Stimmbänder an einen Verstärker und eine elektrische Gitarre angeschlossen und gerade den Power-Knopf gedrückt. Dieses eine Wort traf mich mit der Wucht einer ganzen Schockwelle, die vor Kraft pulsierte.
    Es erinnerte mich an Grant.
    Mary stammelte: »Sklavin. Als Sklavin geboren, geerntet und herangezüchtet.«
    Mir wäre es lieber gewesen, Mary hätte geschwiegen, aber die Frau achtete gar nicht auf sie. Sondern nur auf mich. Und ihr starrender Blick wurde immer dunkler und stechender.
    »Du wirst reden«, fuhr sie fort, mit derselben hallenden Stimme, die mehr Klang war als Wort, mehr Melodie als Klang, die anschwoll und wie ein Wiegenlied für einen Wirbelsturm verebbte. Die Jungs sogen das Geräusch auf, mäanderten über meine Haut. Es prickelte.
    Ich lächelte. »Wer bist du? Warum bist du hier?«
    Die Frau blinzelte, während sie mich weiter fixierte. Dann erhob sie sich ganz langsam auf ihre Füße. Als sie schließlich
vollständig aufgerichtet war, glichen ihr Gesicht und Körper mehr dem eines Mannes als einer Frau. Zum Beispiel hatte sie keine sichtbaren Brüste. Aber ihre Wangenknochen und die Kontur ihres Unterkiefers wechselten mühelos von einer weiblichen zu einer männlichen Form – und wieder zurück.
    Ich war mir nicht sicher, ob sie antworten würde. Aber sie flüsterte: »Ihr Wille geschehe.« Sie legte die Hand auf ihr eisernes Halsband. »Ich bin der Bote. Geschickt wurde ich zu unserem Schöpfer, dem Aetar-Meister, gelobt sei sein Licht in der Organischen Schöpfung.«
    Gelobt sei sein Licht. Unser Schöpfer. Unser Aetar-Meister. Alle diese Worte fielen nur, um meinen Großvater zu beschreiben. Jack Meddle, diesen alten Mann, den Unsterblichen, den Avatar.
    Sie sagte es so, als sei es ihr damit ernst. Ich griff mir selbst an die Kehle und spiegelte so bewusst ihre Körperhaltung. »Warum wurdest du hergeschickt?«
    »Du musst es doch wissen.« Die Frau entfernte sich von dem Leichnam von Jacks Wirt und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Ich spürte, wie sie das ganze Apartment ausfüllte – den Raum, die Bücher, die Fenster; sie war sich ihrer Position und ihres Verhältnisses zu ihrer Umgebung in jeder ihrer Bewegungen vollkommen bewusst. »Unsere Schöpfer spürten, dass zwei der Ihren in dieser Welt ermordet wurden. Das waren Morde, die nicht hätten geschehen dürfen. Niemals ereignete sich dergleichen zuvor, nicht seit dem Krieg mit den Schlächterkönigen. Aber der Schleier«, sie schloss die Augen und neigte den Kopf, »der Schleier hält noch stand. Also muss etwas anderes unsere Götter und Schöpfer getötet haben.«
    Die Frau deutete auf Jacks sterbliche Überreste. »Einer ist noch übrig. Ich soll ihnen den anderen bringen, damit sie ihn befragen

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