Chroniken der Jägerin 3
können.«
»Das wird aber schwierig werden. Er hat seinen Körper verlassen.«
»Er wird einen anderen finden. Ich glaube sogar, er hat es schon getan.« Sie senkte den Kopf. Noch immer musterte sie mich. »Wie konntest du es nur zulassen, dass sein Körper so besudelt wurde?«
»Ermordet, meinst du wohl.« Ich näherte mich ihr und hielt ihrem Blick stand. »Ich habe gar nichts zugelassen. Ich habe ihn so gefunden. Und auch ich suche seinen Mörder.«
»Dann such, soviel du willst. Du hast schon versagt, weil du die Schändung deines Schöpfers nicht verhindert hast. Wenn du Ehre besitzt«, sie fuhr sich mit dem Finger über ihre Kehle, »tötest du dich, sobald sein Schänder gefunden wurde. Ich werde dir dabei helfen.« Sie sagte das ganz nüchtern und ohne jede Bosheit. Vielleicht war dies ihre Art, Wohlwollen zu zeigen. Ich zwang mich dazu weiter zu lächeln. »Sehr freundlich. Und was ist, wenn unser … Schöpfer … gar nicht vorhat, dich zu begleiten?«
»Ich bin der Bote. Ich bin die Stimme unserer Aetar-Meister. Ihr Wille ist Gesetz, und ich bin ihr Werkzeug auf der anderen Seite des Labyrinths. Er muss mir folgen.« Die Frau sagte es, als wäre schon die Vorstellung von Widerstand völlig undenkbar, und als müsste mir das vollkommen klar sein. Vielleicht erwartete sie, dass ich jetzt kalte Füße bekam. Oder aufsprang und salutierte.
Ich war zwar nicht besonders schlau. Aber ich konnte mir doch ziemlich gut vorstellen, worauf das hier hinauslief.
Bis sie Mary ansah.
Ich war davon ausgegangen, dass sie die Alte schon bemerkt hatte, aber die Botin verstummte und verharrte auf eine ganz merkwürdige Weise, während sie sie nun ins Auge fasste. Ihre
Augen weiteten sich kaum merklich, und sie verzog den Mund. Es war eine kleine, aber sehr bedeutsame Reaktion. Und sie gefiel mir gar nicht.
»Du bist anders«, sagte die Frau zu Mary. »Du fühlst dich … alt an.«
Ich glaubte nicht, dass sie damit Marys Falten und ihr graues Haar meinte. Sie sprach das Wort alt vielmehr so aus, wie man von alten Mythen spricht, oder von Bergen oder von den Pyramiden. Ein vielsagendes alt, ein alt, aus dem Geschichten gewoben sind.
Mary ließ ihre Zunge sehr provozierend über die stumpfe Seite eines Schlachtermessers gleiten. Dann wiederholte sie es mit dem zweiten Messer. Dabei ließ sie die Botin nicht aus den Augen. An jedem anderen hätte die Geste lächerlich gewirkt, nicht aber bei Mary.
»So alt wie die Sünde«, antwortete Mary und verzog die Lippen zu einem grässlichen Grinsen. »Wie die Sünden deiner Schöpfer. Häuter, Schlampen.«
»Hör auf«, befahl ich.
Die Botin wich ein Stück vor ihr zurück und ignorierte mich dabei vollkommen. »So redest du nicht mit mir!«
Marys Grinsen wurde nun noch düsterer und entschlossener. »Mein Herz liegt nicht in Ketten.«
Dann griff sie an.
Ich hatte es nicht anders erwartet, schließlich kannte ich Mary, obwohl mich die Schnelligkeit ihrer Bewegungen überraschte. Ich hätte sie nicht aufhalten können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Die Alte bestand nur noch aus Muskeln und Adrenalin. Ihre Messer blitzten, als sie an mir vorbeischoss. In mörderischem Schweigen.
Die andere Frau sprang zurück. Mary blieb dran. Keine gab
einen Laut von sich, sie bewegten sich schneller und schneller, Messer und Fäuste verwickelten sich in einen schrecklichen Tanz aus Angriff und Abwehr. Was sich zwischen ihnen abspielte, war nicht mehr menschlich, und niemand auf dieser Welt hätte es mit ihnen aufnehmen können. Aber die Botin war im Vorteil.
Sie war jung.
Und hatte Klauen.
Ich sah sie nur kurz aufblitzen. Anfangs hatte sie noch keine Klauen besessen, aber irgendwann während des Kampfes waren ihre Fingernägel ausgefahren und saßen jetzt scharf wie Nadeln auf ihren verlängerten Fingerspitzen. Am deutlichsten konnte ich sie sehen, als es der Botin schließlich gelungen war, einen Treffer bei Mary zu landen.
Mary konnte noch im letzten Moment zurückweichen. Die Botin zog ihre Krallen quer über die Brust der Alten, statt ihr die Kehle herauszureißen. Dabei zerfetzte sie ihr das Oberteil. Lange faltige Brüste hingen wie Birnen herunter, und zwischen ihnen, ins Brustbein eingelassen, glänzte eine goldene Scheibe aus ineinander verschlungenen und verknoteten Linien. Ein Labyrinth.
Ich hatte diese Scheibe und das Muster schon früher gesehen. Als ich es wiedererkannte, wurde mir schwindelig, ich fühlte mich verloren, mein Herz begann zu schmerzen. Im
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