Chroniken der Jägerin 3
mehr spürte, als dass ich sie sah, und die sofort in meinem Hinterkopf zu versickern schienen. Ich bemühte mich, nicht zu schwanken.
»Ich wusste gar nicht, was ich davon halten sollte«, meinte sie nur. »Seid ihr gelaufen?«
»Wir haben gekämpft«, antwortete ihr Grant. »Wir haben sie zurückgeschlagen.«
Ihr ganzer Körper wand sich. »Wo ist Jack?«, fragte ich.
»Wo sind wir hier?«, fragte die Botin, anstatt mir zu antworten. Ihre Stimme klang hohl und ausdruckslos. »Ich spüre etwas in diesen Wänden. Echos. Jemand mit großer Kraft hat hier gelebt.« Sie fixierte mich mit einem durchdringenden Blick. »Sie war so wie du!«
Ich sagte nichts. Ich ging durchs Wohnzimmer zur Vordertür. Die Jungs, die auf meiner Haut ruhten, zogen ein klein wenig in Richtung Küche. Sie erinnerten sich. Ich berührte meine Brust, dann betrachtete ich meine tätowierten Hände. Dek und Mal starrten zurück, mit gleißend roten Augen. An meinen Armen hingen schwer und warm Aaz und Rohw.
Meine Jungs.
Ich stand auf der überdachten Veranda. Inzwischen war es später Nachmittag. Der Himmel war von blendendem Blau, ein goldgelbes Feld streckte sich vor mir aus, so weit der Blick reichte. Der Kiesweg war von Unkraut überwuchert, und die Farbe am Haus blätterte langsam ab. Aber sonst hatte sich in den letzten sieben Jahren nicht viel verändert. Die Zeit war in der Todesnacht meiner Mutter stehen geblieben, und nur ich hatte mich weiter verändert.
Alles in mir hatte sich verändert.
Ich sog den Duft frischen Wildgrases und die warme, klare Luft in mich ein. Der Vorfrühling in Texas war angenehm und schön anzuschauen. Ich hatte ganz vergessen, wie unverfälschtes Sonnenlicht aussah.
Kostbare Welt , dachte ich, und Schauder überrieselten mich. Und dann, an die Finsternis in mir gewandt: Es ist eine kostbare, wunderschöne Welt, und ich werde einfach nicht zulassen, dass du ihr etwas antust. Ich werde mich nicht von dir dazu benutzen lassen, sie zu verletzen.
Mir wurde keine Antwort zuteil.
In meiner Hand spürte ich noch immer das Gewicht des Schwertes. Ich hörte Schreie in meinem Kopf. Blut, Krieg und Tod. Ich fasste das Geländer und beugte mich weit nach vorn – da nahm ich eine Bewegung bei den alten Eichen wahr, die in einiger Entfernung auf einem kleinen Hügel in der Nähe des Baches standen. Ich beobachtete eine Weile die Gestalt, die gebeugt, hungrig und ängstlich im Gras saß. Mein eigener, reiner Hunger, der nicht aus der Dunkelheit stammte, hatte sich zurückgezogen, so als schliefe er.
»Heuchler«, sagte ich, an ihn gewandt.
Dann verließ ich die Veranda, überquerte den Weg und ging
auf die Wiese. Ich behielt die Eichen im Blick und den Jungen, der dort saß.
Jack kehrte mir den Rücken zu, aber ich gab mir keine Mühe, mich leise anzuschleichen. Er wusste, dass ich mich näherte, saß mit dem Kinn auf seinen Knien da und wühlte mit den Händen neben sich in der Erde. Büschelweise riss er das Gras aus, während er auf das Grab meiner Mutter schaute.
Von einer riesigen Kalksteinplatte abgesehen, die die Jungs daraufgelegt hatten, war das Grab als solches nicht zu erkennen. Mit seinen Klauen hatte Zee ihren Namen in den Fels geritzt. Wir hatten das noch am Abend ihres Todes getan. Die Jungs hatten das Grab gegraben, und ich hatte an ihrem Leichnam gewacht. Wir hatten sie zwar begraben, aber ich war noch bis zur nächsten Nacht auf demselben Fleck sitzen geblieben, bis die Sonne wieder unterging.
Sieben Jahre, und alles war unverändert geblieben, nur das Gras war gewachsen.
»Du bist in Sicherheit«, sagte Jack und sah mich dabei nicht an.
»Du wusstest doch, dass es so kommen würde«, antwortete ich. »Körperlich bin ich jedenfalls unversehrt.«
»Man achte auf die Feinheiten.« Jack betrachtete seine Hände. »Und Grant?«
»Grant lebt.« Ich setzte mich neben ihn und berührte den Grabstein meiner Mutter. »Sie nannten sich die Mahati.«
Er schüttelte sich. »Es war die Vorhut.«
»Sie wollten, dass ich sie anführe.«
Endlich erwiderte Jack meinen Blick. »Und wie hast du reagiert?«
»Ich sitze hier. Was glaubst du wohl?«
»Ich glaube …«, begann er, verstummte dann aber wieder. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Liebes.«
Der Name meiner Mutter dort im Stein sah grob geschnitzt aus, und er war so tief eingeschnitten, dass meine Finger in die Rillen passten.
Jolene Kiss, Tochter von Jean.
Ich drückte meine Stirn gegen den Stein. »Ich wollte ja sagen. Ich
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