Chroniken der Jägerin 3
wollte es, Jack, ich wollte … diese Macht spüren.«
»Die Macht über Leben und Tod«, erwiderte er. »Wer einmal von ihr gekostet hat, kann nie mehr ganz ohne sie sein.«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
Er wandte sich ab und blickte wieder auf das Grab meiner Mutter. Ich tat es ihm nach und versuchte, nicht an ihre Beisetzung zu denken. Ich versuchte mich an ihr Gesicht zu erinnern, an ihr schiefes Lächeln, an das Funkeln in ihren Augen.
Ich reparierte ihr Bild in mir, dann legte ich mich ins Gras, lauschte dem Wind und sah in den blauen Himmel hinauf. Es war nicht leicht zu atmen, mit diesem großen Kloß im Hals. »Jack, was bin ich? Sag mir die Wahrheit. Mehr verlange ich nicht. Aber keine Rätsel.«
»Keine Rätsel«, echote er. Da hörte ich ein schlurfendes Geräusch im Gras. Ich blinzelte mit einem Auge, öffnete es gerade weit genug, um zu sehen, dass uns Grant jetzt Gesellschaft leistete. Er wirkte zwar ernst, aber im Innersten seines Blickes loderte eine beständige, große Stärke. Ich könnte es Mitgefühl nennen oder Glauben, aber es war tiefer als das, und ich fand nicht das richtige Wort dafür, außer vielleicht, dass es sich anfühlte, als sei die Sonne komprimiert worden, um in mein Herz zu passen – es war ein ungezähmtes Licht, zwar viel größer als mein Leben, aber trotzdem so sehr ein Teil von mir, dass mir schien, es müsste immer weiter brennen, auch nach meinem Tod.
Er ist bei dir geblieben. Er hat dir den Rücken freigehalten. Er ist nicht von deiner Seite gewichen.
Mein Mann, dachte ich.
Ich streckte meine Hand aus. Er kitzelte meine Handfläche mit den Fingern, als er sich mühsam neben mich ins Gras setzte. Dann nahm er meine Hand, die ganz warm war, in seine. Jack beobachtete uns. In seinen Augen lag ein Bedauern und eine schmerzliche Wehmut. »Ich weiß nicht, wo Jeannie begraben liegt«, murmelte er.
»Ich weiß es auch nicht«, erwiderte ich. »Mom hat es mir nie erzählt.«
Jack neigte den Kopf und rieb mit den Händen, Byrons Händen, über sein Gesicht. Als ich ihn beobachtete, verschlug es mir den Atem, ich konnte mich weder bewegen noch einen klaren Gedanken fassen. Sogar Grant war ganz still.
»Wir verlieren den Krieg«, sagte Jack.
Ich wartete, aber mehr sagte er nicht. Jedenfalls nicht sofort. Grant zog mich ein wenig näher an sich heran. Ich leistete keinen Widerstand, verzichtete einen Moment lang darauf, an all die Gründe zu denken, warum ich es eigentlich tun sollte. Ich glaube, damit war ich durch, noch mal und noch einmal in den letzten zwei Jahren. Wir waren immer noch zusammen. Einiges im Leben war einfach hartnäckig.
»Alter Wolf«, sagte ich.
»Maxine«, antwortete er heiser. »Mein Volk konnte die Heere der Dämonenherrscher nie ganz unter Kontrolle bekommen, und so jagten sie Menschen, unsere Menschen. Sie brauchten sie als Nahrung und um sie zu versklaven. Das hätten wir noch verkraftet, schließlich bevölkerten wir so viele Welten, aber die Schlächterkönige konnten wir nicht mehr verkraften.«
Zee zupfte unruhig an meiner Haut. »Weil sie eure eigenen Leute umbringen konnten.«
»Es gelang uns nicht, uns vor ihnen verborgen zu halten. Es war, als könnten sie uns in der Luft schmecken. Fünf Dämonen, die sich einen Verstand miteinander teilten. Sie hatten eine unvorstellbare … Macht. Ich kann dir gar nicht sagen, Maxine, was ich sie für Dinge tun sah.«
»Versuch es gar nicht erst«, antwortete ich. »Wirklich, versuch es gar nicht erst.«
Ich war mir nicht sicher, ob Jack mich überhaupt hörte, so sehr wanderte sein Blick in die Ferne. »Niemand dachte, dass es funktionieren würde, aber wir waren verzweifelt. Wir brauchten etwas, das sie zerschlagen konnten, etwas, das ihnen einen Großteil ihrer Kräfte nahm. Also suchten wir eine Menschenfrau und modifizierten sie, soweit das erforderlich war. Und dann … fesselten wir die Schlächterkönige an sie. Wir haben sie auf der Quantenebene mit dem sterblichen Fleisch verbunden.«
Grants Griff wurde fester. »Aber kann so etwas möglich sein? Ich weiß ja, dass ihr es geschafft habt, schließlich ist Maxine der lebende Beweis dafür. Aber wie ?«
Jack schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht erklären. Du müsstest sein wie wir, um es wirklich verstehen zu können. Was wir an jenem Tag vollbracht haben, das ließe sich unmöglich wiederholen. Es war … Glück und Kraft. Wir mussten mehr Kraft aufbringen, als es sich irgendeiner von uns jemals vorgestellt hätte. Viele
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