Chroniken der Jägerin 3
suchte Grants Hand. Er zog mich an sich und brachte mich nach draußen auf die Veranda.
Ich musste mich am Geländer festhalten. »Ich kann ihn nicht hassen. Egal, was ich höre, egal was er vor mir verbirgt… all diese Geheimnisse, all diese Dinge, die er getan hat … ich liebe ihn trotzdem.«
»Und er liebt dich«, sagte Grant. »Ich kann seine Spezies nicht einmal im Ansatz begreifen, aber er liebt dich, Maxine. Er hat deine Mutter geliebt, und er liebte auch deine Großmutter.«
Ich drückte mein Gesicht an den alten Holzpfeiler, von dem die abblätternde Farbe in kleinen Krümeln auf die Verandabretter rieselte. Dek zwitscherte und leckte die Rückseite meines Ohrs. »Von all den Jägerinnen meiner Blutlinie, warum gerade Jean Kiss? Warum hat er sich ausgerechnet ihn sie verliebt?«
»Ihr seid nicht alle gleich, weißt du.« Grant kam ganz nah an mich heran und lehnte seine Brust warm an meinen Rücken. »Mag sein, dass ihr euch ähnlich seht, aber ihr seid doch zwei ganz unterschiedliche Frauen.«
Ich dachte an Jack, der in der Küche saß und auf die Stelle starrte, wo seine Tochter gestorben war. »Er wird uns alle überleben. Es wird nur ein Augenblick sein, verglichen mit dem Rest seines Lebens.«
»Nein, das wird es nicht. Nicht nur ein Augenblick sein.«
Grant legte seine Hände über meine, dann verschränkten wir unsere Finger ineinander. »Zeit ist relativ. Und das, was er an dir, deiner Mutter und deiner Großmutter hatte und wieder verlor, wird viel schwerer wiegen als eine Million oder zehn Millionen Jahre.«
»Er ist einsam«, sagte ich. »Von uns allen ist er der Einsamste.«
Grant seufzte. »Komm, lass uns ein Stück miteinander gehen.«
»Wo ist die Botin?«
»Als ich das letzte Mal nach ihr sah, war sie oben im Schlafzimmer und starrte an die Wand.«
»Du hast sie mit Jack allein gelassen.«
»Sie wird ihm nicht wehtun. Oder ihn mitnehmen.« Grant kratzte sich im Nacken und sah aus, als fühle er sich unwohl. »Sie befindet sich in einer Phase der Selbstreflexion.«
»Okay«, sagte ich langsam. »Und was heißt das genau?«
»Willensfreiheit.« Grant zog mich in den Garten. »Lass uns gehen.«
Ich ließ mich von ihm in Richtung Scheune ziehen. »Du benimmst dich, als würdest du hier wohnen.«
»Ich höre zu, wenn du redest. Über diesen Ort hast du so wenig erzählt, dass ich immer besonders gut darauf geachtet habe, wenn du es doch einmal getan hast. Außerdem hatte ich Zeit, mich hier umzusehen. Ich war neugierig, wo du wohl aufgewachsen bist.«
»Ich bin aber gar nicht hier aufgewachsen.«
Er warf mir einen Blick zu. »Du erzählst den Leuten immer, du kämst aus Texas. Es muss sich also wenigstens ein bisschen wie deine Heimat anfühlen.«
»Ich bin hier geboren. In diesem Haus.« Ich beobachtete
Rohw und Aaz, die vor uns durch die Schatten tobten. »Zee hat mich auf die Welt geholt.«
Grant kam leicht ins Stolpern. »Wow.«
»Ich weiß.«
In über hundert Jahren hatte diese Scheune kein Tier beherbergt, das größer war als eine Katze oder eine Maus, und meine Mutter hatte immer dafür gesorgt, dass sie gefegt und sauber war. Der alte Kombi stand noch immer darin.
Es tat weh, ihn zu sehen. Ich strich mit meinen Händen über die verstaubte braune Motorhaube und starrte durch die Windschutzscheibe auf den Fahrersitz. Es war fast so, als könnte ich sehen, wie meine Mutter hinter dem Steuer saß und ich neben ihr, mit Pferdeschwanz und Overall und meinen kleinen roten Cowboystiefeln. Geister der Erinnerung.
Sogar die Jungs waren ergriffen, leckten das Metall und pressten ihre Wangen an die Wagentüren. Dek und Mal summten die Melodie von I’m So Lonesome I Could Cry, und Grant stimmte mit ein und sang sanft und traurig die Gegenstimme.
Die Wagentüren waren abgeschlossen, aber Aaz huschte durch die Schatten und öffnete das Auto von innen. Ein muffiger Geruch von Leder und Plastik wehte uns entgegen. Ich dachte daran, mich auf den Fahrersitz zu setzen, überlegte es mir aber im letzten Moment doch noch anders und kletterte auf den Rücksitz. Ich rutschte auf die Seite, um Grant Platz zu machen. Unter meinem Fuß raschelte ein Blatt Papier. In dem Wagen war es dunkel, aber ich konnte auch nachts sehr gut sehen und erkannte flüchtig Landkarten, Hotelprospekte und einzelne Blätter mit Bildern, die mit Buntstiften und Filzstiften gemalt waren. Alte Erinnerungen. Als ich zehn war, hörten wir auf, den Wagen zu benutzen, und stellten ihn hier ab. Meine Mutter und
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