Chroniken der Jägerin 3
erzählen«, sagte er mit so leiser Stimme, dass man ihn fast nicht hören konnte. »Wir werden es nicht tun.«
Ich hätte ihm gern in die Augen geschaut, aber die ruhigen Bewegungen seiner Haare und seines Umhangs sprachen für sich, genauso wie der Schmerz, der in seiner Stimme mitklang. Es reichte aus, dass ich den Blick abwandte und ein »Schon in Ordnung« murmelte.
Wieder streckte ich meine Hand aus. Nach kurzem Zögern bettete sein Haar den Ring der Saat auf meine Hand.
Ich verschwand nicht. Nichts explodierte. Überhaupt nichts Verrücktes geschah. Ich hielt die Scheibe in meiner Hand und fragte mich, ob es so sei, als hielte ich die Hand meiner Mutter. Obwohl wir das nicht allzu oft getan hatten, nachdem ich acht Jahre alt geworden war.
Ich wünschte, ich wäre wieder ein kleines Kind und sie diejenige, die die Welt aushalten musste.
Wie vieles hast du ertragen müssen?, fragte ich mich wortlos und dachte an meine Mutter und das, was Oturu gesagt hatte.
Ich ließ meine Fingerspitzen über diese konzentrischen Rillen gleiten. Die Rüstung regte sich. Aber ich behielt die Oberhand. Meine Finger kamen näher an das Zentrum der Scheibe. Zee und die Jungs verharrten reglos.
Ich berührte den Mittelpunkt.
Nichts geschah.
Mir war nicht klar, warum ich etwas anderes erwartet hatte. Vielleicht hoffte ich es. Meine Mutter hatte mir den Ring aus einem bestimmten Grund hinterlassen, und falls sie etwas über das große, dunkle Geheimnis unserer Blutlinie wusste und falls sie im Labyrinth gewesen war, dann gab es vielleicht noch mehr, das ich wissen sollte. Irgendetwas, das mir eine Hilfe sein konnte.
Oder das einfach dafür sorgte, dass es mir besser ging.
Ich blickte zu Zee hinüber, der mit den Schultern zuckte. Rohw und Aaz schauten uns mit großen Augen an. Irgendwann schafften sie es, eine riesige Schüssel mit Brathähnchen aus den Schatten hervorzuziehen, und sie machten sich so begierig darüber her, dass ich mich am liebsten neben sie gelümmelt hätte, um auch eine Keule zu essen.
Ich ließ den Ring der Saat in meine Westentasche gleiten. »Noch irgendwelche letzten Ratschläge?«
»Vor dem, was dir bevorsteht, kann dich niemand schützen.« Oturu schwebte näher heran. »Wir sind nicht hier, um dich zu retten, sondern um es dir leichter zu machen.«
Sein Umhang bauschte sich auf, und die verschlungenen Strähnen seines langen, schwarzen Haars umsponnen meinen Körper, als wollte er ihn in einen Kokon verwandeln.
»Du bist nicht allein«, flüsterte er.
Nicht allein. Nicht allein … gegen ein ganzes Heer. Nicht allein dem Verdacht ausgesetzt, ich würde der Welt auf irgendeine Art schaden. Nicht so vollkommen allein – im Leben.
Ich berührte meine Brust und spürte meinen Herzschlag. Eine ganz gewöhnliche, menschliche Angelegenheit.
Der zweite Herzschlag jedoch war nicht gewöhnlich.
Knapp aus dem Takt … neben meinem. Gleichmäßig und fest.
Grant. Mir war, als hörte ich seine Stimme im Wind, und als ich die Augen schloss, sah ich ihn als silbernes Licht und gülden wie eine Sonne, die mir wie ein Strom aus der Nacht in die Brust floss.
»Ah«, murmelte Oturu. »Ah, junge Königin.«
Er klang wehmütig, das machte mich irgendwie traurig. Vielleicht bedeutete es, dass ich auch nur eine Verrückte war, aber das war mir gleich. Ich hatte alle Regeln gebrochen, nach denen ich erzogen worden war. Ich war ja selbst eine gebrochene Regel.
Aber ich war immer noch ich. Maxine Kiss. Hatte keine Hörner auf dem Kopf, atmete keine Flammen, ich wachte morgens auf, mochte Musik aus den Achtzigern, liebte heißen Kakao und Regen. Ich mochte Cowboystiefel, Clint-Eastwood-Filme und meine Steaks so kurz gebraten, dass sie fast vom Teller hüpfen konnten. Ich würde meine Mutter zu jeder Zeit vermissen und würde immer noch meine Jungs lieben, und ich würde einen Weg finden, um mein Leben mit dem Mann zu teilen, der so tief in meinem Herzen wohnte.
Du bist naiv , sagte ich zu mir selbst. Du hast sie nicht mehr alle.
Ganz im Gegenteil , antwortete ein anderer Teil von mir. Man hat mich nicht großgezogen, damit ich das Leben einfach so hinschmeiße.
Ich griff nach einer Strähne von Oturus schwebenden Haaren, wickelte sie um mein Handgelenk und küsste sie.
Er erstarrte. »Danke, mein Freund«, sagte ich. »Jederzeit«, murmelte er und beugte den Kopf. »In Ewigkeit.«
15
I ch war stundenlang gelaufen, um jenen Platz in dem Pinienwald zu erreichen. Ich wollte nicht genauso viel Zeit
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