Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Finsternis, kein Licht, keine Regung - und dann plötzlich ein Spalt, eine Öffnung. Und das Gesicht des Mannes, der mich eingesperrt hat, direkt über mir.«
»Ich bin nicht der Mann, der dich eingesperrt hat ...«
»Nein. Das war dein Vater. Aber für mich seht ihr alle gleich aus.« Der Dämon grinste höhnisch. »Ich erinnere mich an deine Schwester. Tapferes Mädchen ... hat doch tatsächlich versucht, mich mit dieser Klinge abzuwehren, mit der sie selbst kaum umgehen konnte.«
»Sie konnte immerhin so gut damit umgehen, dass sie dich von uns ferngehalten hat. Aus diesem Grund hast du uns ja verflucht. Mich verflucht. Erinnerst du dich auch daran?«
Der Dämon lachte leise in sich hinein. »›Ein jeder, der dich liebt, wird sterben. Die Liebe zu dir wird jeden Einzelnen vernichten. Es mag nur Momente dauern oder Jahre, aber alle, die dich mit Liebe betrachten, werden daran vergehen. Und mit ihr werde ich anfangen.‹«
Will hatte das Gefühl, als würde er den heißen Atem eines lodernden Feuers einatmen. Sein ganzer Brustkorb schien in Flammen zu stehen. »Ja, genau.«
Spöttisch neigte der Dämon den Kopf zur Seite. »Und jetzt hast du mich heraufbeschworen, damit wir uns in Erinnerungen über diese Begebenheit aus unserer gemeinsamen Vergangenheit ergehen können?«
»Ich habe dich gerufen, du blauhäutiger Mistkerl, damit du den Fluch von mir nimmst. Meine Schwester - Ella - ist in jener Nacht gestorben. Ich habe meine Familie verlassen, um sie keiner Gefahr auszusetzen. Das ist nun fünf Jahre her. Jetzt reicht’s. Es reicht! «
»Spar dir die Mühe, an mein Mitleid zu appellieren, Sterblicher«, erwiderte Marbas. »Ich wurde zwanzig Jahre in diesem Kasten gefangen gehalten. Vielleicht solltest auch du zwanzig Jahre leiden. Oder zweihundert ...«
Wills ganzer Körper war verspannt und verkrampft. Doch bevor er sich auf den Dämon stürzen konnte, warf Magnus in ruhigem Ton ein: »Es gibt da etwas an dieser Geschichte, das mir merkwürdig erscheint, Marbas.«
Ruckartig richtete der Dämon seinen Blick auf den Hexenmeister. »Und das wäre?«
»Ein Dämon, der gerade aus einer Pyxis freikommt, ist normalerweise sehr geschwächt, da er schließlich während der gesamten Gefangenschaft hungern musste. Er ist zu schwach, um solch einen raffinierten und mächtigen Fluch auszusprechen, mit dem du angeblich Will belegt hast.«
Wütend zischte der Dämon etwas in einer Sprache, die Will nicht verstand - weder Cthonisch noch Purgatisch, sondern eine der weniger gebräuchlichen Dämonensprachen. Magnus verengte die Augen zu Schlitzen.
»Aber sie ist gestorben«, warf Will ein. »Marbas hat gesagt, dass meine Schwester sterben würde, und genau so ist es geschehen. Noch in derselben Nacht.«
Magnus’ Blick war weiterhin fest auf den Dämon gerichtet. Zwischen den beiden fand eine Art stummer Machtkampf statt, jenseits von Wills Vorstellungskraft. Schließlich bemerkte Magnus leise: »Willst du dich mir wirklich widersetzen, Marbas? Möchtest du tatsächlich den Zorn meines Vaters auf dich ziehen?«
Marbas fluchte unterdrückt und wandte sich an Will. Seine Schnauze zuckte. »Dieser Mischling hat recht. Der Fluch war nur vorgetäuscht. Deine Schwester ist gestorben, weil ich sie mit meinem Stachel getroffen hatte.« Sein gelblicher Schwanz peitschte hin und her und Will erinnerte sich wieder daran, wie Ella von diesem Dämonenschwanz getroffen worden und zu Boden gegangen war, wobei ihr die Seraphklinge aus der Hand rutschte. »Du bist nie mit einem Fluch belegt gewesen, Will Herondale. Jedenfalls nicht mit einem, den ich ausgestoßen habe.«
»Nein«, flüsterte Will leise. »Nein, das kann nicht sein.« Er hatte das Gefühl, als würde ein heftiger Sturm in seinem Kopf toben. Dann erinnerte er sich an Jems Worte - die Mauer bekommt allmählich Risse - und sah vor seinem inneren Auge eine hohe Mauer, die ihn jahrelang umgeben und isoliert hatte und nun zu Staub zerfiel. Er war frei, aber allein und ein eisiger Wind schnitt ihm wie ein Messer durch den Körper. »Nein.« Seine Stimme bekam einen fassungslosen, schrillen Ton. »Magnus ...«
»Ist das eine Lüge, Marbas?«, fauchte Magnus. »Schwörst du bei Baal, dass du die Wahrheit sagst?«
»Ich schwöre es«, erwiderte Marbas und verdrehte genervt die roten Augen. »Was würde es mir denn bringen zu lügen?«
Will sank auf die Knie, die Hände auf den Magen gepresst, als müsste er sich daran hindern, sich ruckartig zu übergeben. Fünf Jahre,
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