Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
immer etwas Wagemutiges an sich, doch diese Situation war anders: Dies war nicht der Wagemut der Verzweiflung, sondern die Unbekümmertheit großen Glücks. Aber was für ein merkwürdiger Moment, um derartig glücklich zu sein!
»Hast du völlig den Verstand verloren?«, fragte Tessa. »Du redest von ›Dämonenpocken‹, wie jemand anderes vielleicht von einer unerwarteten Erbschaft sprechen würde. Bist du wirklich so erfreut darüber?«
»Ich fühle mich in meinem Urteil bestätigt, aber nicht über alle Maßen erfreut ... Und außerdem wollte ich gar nicht über Dämonenpocken reden, sondern über dich und mich ...«
Im nächsten Moment schwang die Salontür auf und Henry tauchte im Türrahmen auf, dicht gefolgt von Charlotte. Jem würde als Nächster den Salon verlassen, daher trat Tessa hastig einen Schritt zurück, fort von Will, obwohl eigentlich gar nichts Unschickliches zwischen ihnen geschehen war. Außer in deinen Gedanken, sagte eine kleine Stimme tief in ihrem Inneren, die Tessa aber geflissentlich ignorierte. »Will, nicht jetzt«, stieß sie leise hervor. »Ich glaube, ich weiß, was du mir sagen willst, und du hast jedes Recht dazu, doch jetzt ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, meinst du nicht auch? Glaub mir, ich bin genauso begierig darauf, mit dir zu reden, denn das Ganze lastet schwer auf meiner Seele ...«
»Tatsächlich? Du weißt es?« Will wirkte benommen, als hätte Tessa ihn mit einem Stein am Kopf getroffen.
»Nun ja - durchaus«, erwiderte Tessa und sah dann, wie Jem auf sie zukam. »Aber nicht jetzt .«
Will folgte ihrem Blick, schluckte und nickte widerstrebend. »Also gut, wann dann?«
»Später, wenn wir von dem Besuch bei den Lightwoods zurück sind. Komm in den Salon.«
»In den Salon?«
Tessa musterte ihn stirnrunzelnd. »Also wirklich, Will«, tadelte sie. »Musst du denn alles wiederholen, was ich sage?«
Inzwischen hatte Jem zu ihnen aufgeschlossen und hörte Tessas letzte Bemerkung. »Tessa, gönn Will doch eine Minute, damit er seine fünf Sinne wieder zusammensuchen kann«, grinste er. »Der arme Junge ist die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und sieht so aus, als könnte er sich kaum noch an seinen eigenen Namen erinnern.« Freundlich legte Jem seinem Parabatai eine Hand auf den Arm. »Hier entlang, Herondale. Du machst auf mich den Eindruck, als könntest du eine Kraft-Rune gebrauchen - oder zwei oder drei ...«
Widerwillig löste Will den Blick von Tessa und ließ sich dann von Jem durch den Flur fuhren. Tessa schaute den beiden nach und schüttelte den Kopf. Männer, dachte sie. Sie würde sie nie verstehen.
Tessa hatte kaum ein paar Schritte in ihr Zimmer gesetzt, als sie abrupt stehen blieb und auf ihr Bett starrte: Dort lag ein elegantes Ausgehkostüm aus creme-grau gestreifter Seide mit zierlicher Borte und silbernen Knöpfen, dazu passende graue Samthandschuhe mit einem silberdurchwirkten Blattmuster. Und vor dem Bett warteten cremefarbene Knopfstiefeletten und modische Damenstrümpfe.
Einen Moment später wurde die Tür geöffnet und Sophie betrat das Zimmer, einen hellgrauen Hut mit silbernen Beeren in der Hand. Ihr Gesicht wirkte bleich, ihre Augen waren geschwollen und gerötet und sie vermied jeden Blickkontakt mit Tessa. »Ein neues Kleid, Miss«, verkündete das Dienstmädchen mit ausdrucksloser Stimme. »Der Stoff gehörte ursprünglich zu Mrs Branwells Aussteuer, aber vor ein paar Wochen hat sie mich beauftragt, daraus ein Kostüm für Sie schneidern zu lassen. Vermutlich hat sie gedacht, Sie benötigten noch andere Kleidung als nur die, die Miss Jessamine Ihnen gekauft hat. Sie hoffte, dass Sie sich dadurch ... wohler fühlen würden. Diese Sachen sind heute Morgen geliefert worden und ich hatte Bridget gebeten, sie für Sie auf dem Bett auszubreiten.«
Tessa spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und setzte sich hastig auf die Bettkante. Der Gedanke, dass Charlotte bei all ihren Problemen trotzdem an Tessas Wohlbehagen gedacht hatte, rührte sie über alle Maßen. Doch sie schluckte die Tränen hinunter und sagte dann mit zitternder Stimme: »Sophie, ich sollte ... nein, ich muss mich bei dir entschuldigen.«
»Bei mir entschuldigen, Miss?«, fragte Sophie tonlos und legte den Hut auf das Bett.
Einen Moment lang abgelenkt, starrte Tessa auf die Kopfbedeckung. Charlotte trug selbst immer so schlichte Kleidung, dass Tessa nie auf die Idee gekommen wäre, die junge Institutsleiterin würde auch nur einen
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